Gebrauchsanweisung für das Trinken während einer Pandemie
Zuerst ein paar Fakten: Der Absatz von alkoholischen Getränken hat während der Isolation weltweit zugenommen. In Deutschland z.B. wurden im Zeitraum von Ende Februar bis Ende März 34 Prozent mehr Wein, 31.2 Prozent mehr klare Spirituosen und 11.5 Prozent mehr Bier verkauft als sonst üblich. In Amerika stieg der Weinverkauf um 28% und in Spanien und Italien waren die Weinregale schneller leergekauft als das Klopapier (ja nicht überall, aber die Prioritäten sind eben verschieden) und der Wine in Bag Absatz stieg laut Marktforschungsinstitut Nielson um stattliche 53 Prozent. Da liegt es auf der Hand, dass die Happy-Hour im Home-Office etwas früher anfängt als sonst.
So ein Lockdown ist also für jedermann und Frau eine harte Sache. Ganz schlimm ist es aber für den selbsterklärten Weinexperten, der zu Hause seinen latenten Alkoholismus, den er sonst mit öffentlichen Wein-Degustationen und privaten Verkostungen diskret pflegt, nicht mehr ganz so gut kaschieren kann. Und so kommt es, dass während dem das öffentlichen Leben im Koma liegt, der Konsument Zuhause quasi am Tropf häng.
Der Plan
Da liegt das Champagnerfrühstück irgendwie auf der Hand. Dann zum späten light Lunch ein Fläschli Weisswein oder Rosé und zum Abendessen dann einen passenden Rotwein. Soweit der Plan. Wie Sie sich vorstellen können, geht das natürlich nicht lange gut. Als erstes wird einem von der Frau das Champagnerfrühstück verboten. Also essen dürfen Sie noch, aber den Champagner müssen Sie weglassen. Das nächste was der heimischen Alkoholzensur zum Opfer fällt, ist dann das Fläschli Weisswein zum Mittag. Lösung: Man baut den Champagner zum Apero ein, kocht neu ne super feine Vorspeise zu der man etwas Weisswein braucht und logischerweise braucht ein richtiger Mann, respektive die lukullisch versierte Frau einen anständigen Kochwein. Also einen Wein, der während dem Kochen als Inspirationsquelle dient. Bis das durchschaut ist, dauert es eine Weile. Versprochen!
Aber auch ein vermeintlich guter Plan ist eben nur ein Plan und wird irgendwann aufgedeckt und nicht länger goutiert. Also fallen Champagner, Weiss- und Kochwein weg. Es bleibt einem nur noch der Rotwein. Sie denken, dass ist jetzt auch gut so, ES REICHT! Sie leiden ja schon genug! Mit PartnerIn und Kinder 24 Stunden, sieben Tage die Woche Zuhause. Zustände sind das, das sind wir uns gar nicht mehr gewohnt! Und sowas ist, ehrlich gesagt, ja auf die Dauer nur dann wirklich erträglich, wenn man leicht einen sitzen hat – denken Sie und ich bin absolut bei Ihnen.
Aber da haben Sie die Rechnung ohne den Koch der Vernunft gemacht. Denn ab sofort wird nur noch eine Flasche am Abend getrunken. Eine Flasche (zu zweit)! Da fängt man im Geiste gleich mit dem Zittern an. Man geht also runter in Keller und kommt mit einer schönen Magnum Flasche Bordoo und einem breiten Grinsen wieder zurück ins traute Heim – GEWONNEN! Aber auch dies ist nur ein Etappensieg; denn auch dieser Triumph währt nur kurz. Resultat: Magnumflaschen (und auch alle anderen Grossformate) sind ab sofort ebenfalls verboten.
Ist ja auch irgendwie gut so. Denn wenn Sie sich nach fünf Wochen Lockdown so im Spiegel betrachten, sind Sie sich plötzlich nicht mehr so sicher, ob Sie sich bei den Weight-Watchers oder doch lieber zuerst bei den Anonymen Alkoholikern anmelden sollen. Im Zweifelsfall dann eben bei beiden, denn der Gang zur Altglas-Entsorgungsstelle (die Sie neuerdings fleissig frequentieren) reicht doch nicht ganz, um die angesammelten Kalorien zu neutralisieren.
Darum sind Sie jetzt soweit und kasteien sich selbst. Ab sofort gilt, nur noch ein Glas Wein pro Tag…
Aber zum guten Glück ist man nicht allein mit solchen Problemen. Und im Grunde genommen gibt es auch keine Probleme, sondern nur Lösungen. Gut, man kann jetzt nicht wirklich mit Freunden abhängen, aber für etwas gibt es ja die Technik. Und so werden die Weiten des Internets zum virtuellen Treffpunkt vinophiler Freunde und geselligen Beisammenseins. Auch hierbei wird freudig gebechert, denn das Musterpaket vom befreundeten Weinbauern oder dem Lieblings-Weinhändler muss ja fachgerecht verkostet werden. Da hat man dann auch die Gelegenheit, unbeschwert (aber unter Argusaugen) eine ganze Kiste Wein aufzureissen, dazu alle Weingläser auf den Tisch zu packen, die verfügbar sind, und – GAANZ WICHTIG – dabei die Gläser zu schwenken, intensive zu schnuppern und fleissig, den einen oder anderen Schluck zu spucken (nicht zu fleissig versteht sich, sonst geht der Plan für Sie nicht auf).
Es scheint nun aber so, als hätte ich den Bogen leicht überspannt. Denn ich habe deswegen täglich nur noch eine Stunde Zugang zum Internet; und dies auch nur vormittags! Da finden nämlich in aller Regel keine «virtuellen» Verkostungen statt (zumindest in unserer Zeitzone – das wäre dann die nächste Idee…) Und ja: Wein bestellen darf ich jetzt auch nicht mehr. Da nützt auch das Argument «drink local, order local» nichts mehr. Darum rate ich Ihnen, trinken Sie mit Vernunft. Wie sowas sonst endet, wissen Sie jetzt ja.
Pröschtli und bleiben Sie gesund!
Lieber Philipp, du schreibst sehr ausführlich und korrekt, viele dieser Erfahrungen mache ich selbst auch.
Nur dass einer Frau, egal ob jetzt die eigene oder eine irgend eine mir Dinge, die auch nur irgendwie mit Wein zu tun haben verbietet.. unmöglich, da beneide ich keinen Weinfreunde in solcher Situation. Ich denke jeder sollte seine gesteckten Ziele verfolgen. Meine sind genau definiert, denn ich habe viel nachzuholen. Vor 20 Jahren trank ich täglich Bordeaux, dann aus vielen Gründen lange praktisch nichts..
Jetzt Wein zu trinken, reif, den man vor 20 Jahren als Jungwein im Glas hatte ist eine Herausforderung, die mich sehr fasziniert.. neue Stiele, verbesserte Keller Technik, es ist wie eine Safari.. Corona hin oder her, ich vermisse das Trinken mit guten Weinfachleuten, kann gut allein trinken, aber nicht auf lange Dauer..
In diesem Sinne.. Gruss aus Kirchdorf AG