Zwölf Jahrgänge einer Ikone, darunter eine leckere Fälschung? Ch. Cheval Blanc 1911 bis 2004.

, , ,

Am letzten Montag traffen sich ein gutes Duzend Weinbegeisterte Personen im Restaurant Carlton zu einer Cheval-Blanc-Probe. Jeder Teilnehmer brachte einen anderen Jahrgang dieses renommierten Weingutes mit und wir verkosteten die Weine offen, in aufsteigender Reihenfolge der Jahrgänge, also beginnend beim ältesten Wein, ein Cheval Blanc 1911 bis hoch zum jüngsten Vertreter, ein Cheval Blanc 2004.

12 Jahrgänge Ch. Cheval Blanc, von 1911 bis 2004 (c) vvWine.ch

Zum Einstieg und der Vorspeise gab es einen hervorragend gereiften Ch. La Louvière Blanc aus Pessac-Léognan. Der Wein wurde aus der Magnum-Flasche serviert und zeigte eindrücklich auf, wie gut auch „kleine Weine“ aus Bordeaux reifen können.

Ch. La Louvière 2002 (c) vvwine.ch

2002, Ch. La Louvière, Pessac-Leognan: Kräftiges Goldgelb, leicht aufgehellter Rand. Offene, expressive Nase, Honig, weisse Blüten, Harz, Nadelhölzer, sehr gute Komplexität. Am Gaumen weicher, vollmundiger Auftakt, dann zieht der Wein zusamme, wird straff, da ist eine saftige, knackige Frucht, gestützt von einer sehr guten Säure, Limetten, Pfirsich, wieder etwas Honig, ungemein ausgewogen und erstaunlich frisch, im Abgang von sehr guter Länge, endet auf reife Zitrusfrüchte. Ein wunderbar gereifter, weisser Bordeaux und in Anbetracht seines Preises ein absoluter Hit. Jetzt bis 2022+, 18.5 vvPunkte, (92/100)

Hervorragend gereift, Ch. La Louvière 2002 aus der Magnum (c) vvWine.ch

Dann ging es weiter mit einem 1er Flight, dem eindrücklichen Ch. Cheval Blanc aus dem Jahr 1911. Dieser (angeblich) über 100jährige Bordeaux benötigte einige Minuten im Glas, entwickelte sich dann zu einem ganz eindrücklichen Weinerlebnis….

Hell, trüb und grossartig, Ch. Cheval Blanc 1911 (c) vvWine.ch

1911, Ch. Cheval-Blanc, St-Emilion: Helles Granat, deutlich getrübt, ins Orange tendierende Ränder. Anfangs verhalten, mit mehr Luft öffnet sich der Wein zunehmend, süsse, feinwürzige Nase, Curry, Tabak, Leder, getrocknete Rosen, Schwarztee, schwarze Oliven, Kräuter, auch etwas Nelken, Malz, das ist eine an schöne Burgunder erinnernde Tiefe, sehr verspielt, ausgezeichnete Komplexität, verändert sich laufend, bleibt spannend. Am Gaumen weicher, süsslicher Auftakt, noch erstaunlich viel Schmelz, auch am Gaumen Aromen von Schwarztee, viel reife, süssliche Frucht, Anflüge von Holzkohle, rote Früchte, von der Statur her eher leicht aber nicht dürr, hervorragend gereift, die Säure gibt dem Wein seinen Halt, das Tannin ist abgeschmolzen, im Abgang von sehr guter Länge. Ein grossartig gereifter, sehr harmonischer und hocheleganter Wein, technisch 19 vvPunkte, (95/100), emotional der Wein des Abends.

…doch warum die oben genannte Klammer mit dem relativierenden Wort „angeblich“? Rund zwei Wochen nach der Probe machte mich ein Weinfreund mit Kontakten in die MW Szene darauf aufmerksam, dass die Appellation Saint-Emilion Controlée erst 1936 gegründet worden ist. Wie kann es also sein, dass dieser Cheval-Blanc mit Jahrgang 1911 den Aufdruck „Appellation Saint-Emilion Controlée“ enthält? Hat da eine ganze Gruppe von Weinfreunden eine gefälschte Flasche Cheval Blanc verkostet und niemand hat es bemerkt?

Diese Frage sorgte in den folgenden Tagen für einiges an Gesprächsstoff und deutliche Verunsicherungen bei den Beteiligten. Diverse Abklärungen, untern anderem durch Jean François Guyard von Vinifera-Mundi, der den Altweinspezialisten François Audouze kontaktierte, sowie Rücksprachen mit dem Auktionar, welcher seinerzeit die Weinflasche dem Spender verkauft hatte, deuten darauf hin, dass es sich um eine echte Flasche Cheval Blanc 2011 handelt. Gemäss den Experten ist das Etikett höchstwahrscheinlich ein sogenanntes „Rekonditionierungsetikett“. Bei diesen wurde der Jahrgang nachträglich eingesetzt. Weil früher die Weine fassweise von den Châteaux an die Importeure geliefert und von diesen abgefüllt wurden, war es nicht unüblich Jahrgang und den Vermerk „Mise en bouteille“ in rot zu drucken, sobald die Châteaux Eigenabfüllungen machten. Und eben, wie schon oben beschrieben: geschmeckt hat der Wein allemal vorzüglich.

Wurde nie neu verkorkt – Ch. Cheval Blanc 1911 (c) vvWine.ch

Weiter ging es mit drei Weinen aus den 60er- und 70er-Jahren: Ch. Cheval Blanc 1962, 1966 und 1975. Während sich die 60er durchaus positiv zeigten, vermochte der 75er nicht zu überzeugen. Ich musste kürzlich schon einen Mouton Rothschild 1975 verkochen und auch dieser Cheval Blanc machte nicht wirklich Spass, so dass ich zukünftig einen Bogen um 1975er-Weine machen werde…

1962, Ch. Cheval-Blanc, St-Emilion: Kräftiges Rubin, noch immer Glanz. Die Nase ist offen, zeigt noch immer Frucht, Kirschen, Cassis, Rauch, Anflüge von Tee, Unterholz und Pilzen, später auch Malz, sehr gute Komplexität. Am Gaumen straffer Auftakt, wirkt deutlich reifer als die Nase verspricht, die Gerbstoffe sind weitgehend abgeschmolzen, die Säure gut eingebunden, dunkle Kirschen, etwas Holzkohle, etwas austrocknend aber mit sehr gute Länge. Ein kräftiger, gut strukturierter Wein der noch erstaunlich gute Reserven hat. Bis 2025. 18 vvPunkte, (91/100)

1966, Ch. Cheval-Blanc, St-Emilion: Kräftiges Rubin, aufgehellter, ins Orange tendierender Rand, noch immer Glanz. Expressive Nase, viel reife Frucht, Cassis, eingelegte Kirschen, würzige Noten, etwas Rumtopf, Nelken, sehr gute Komplexität. Am Gaumen hitziger Auftakt, wirkt fast etwas gekocht, dann breitet sich eine kräftige Frucht aus, auch hier eingelegte Kirschen, reife Himbeeren, sehr dicht, die Gerbstoffe noch präsent, die Säure gut eingebunden, auch am mittleren Gaumen hitzig aber nicht plump, sehr gut strukturiert, spannend, dicht und würzig, im Abgang mit sehr guter Länge. Ein kräftiger, gut strukturierter Wein, der noch gute Reserven hat. Bis 2030. 18.5 vvPunkte, (93/100)

1975, Ch. Cheval-Blanc, St-Emilion: Mittlers Rubin, heller Rand, noch schöner Glanz. Die Nase staubig, verhalten, muffig, das wirkt karg, mit Karton und feuchtem Holz, unsauber und rustikal. Am Gaumen straff, karg und in einer gar ruppigen Art, sehr austrocknendes Tannin, dahinter etwas warme, dunkle Kirschfrucht, Lakrizze und Nelken, insgesamt unausgewogen, dürr und uncharmant, nach einigen schwierigen 75er hier nicht unerwartet aber doch enttäuschend auch ein schwacher, unausgewogener Cheval Blanc. 16.5 vvPunkte, (83/100)

Erstaunlich die Farbe: Ch. Cheval Blanc 1962, 1966 und 1975 (v.l.n.r) – (c) vvWine.ch

Der Nächste Flight widmete sich den 80er-Jahren. Am Start standen 1981, 1985, 1986 und 1988. Alle vier Weine präsentierten sich sehr schön, die beiden jüngeren mit noch soliden Reserven, der 1985er, welchen ich hier schon verkostet habe, zeigt sich aktuell im schönsten Trinkfenster.

1981, Ch. Cheval-Blanc, St-Emilion: Mittlers Rubin, ins Orange tendierender Rand, noch schöner Glanz. Reife Nase, sehr offen, Torf, Süssholz, dunkle Kirschen, Schwarztee, ein Hauch schwarze Oliven, sehr gute Komplexität. Am Gaumen straffer Auftakt, gradlinig, sehr gute Struktur, noch merklich Gerbstoff, die Säure saftig, sehr präsent, feinwürzig, mit viel Rasse und einem fast etwas hitzig wirkenden, mittleren Gaumen, da ist süsser Schmelz und auch viel Spannung, macht durchaus Spass und endet langanhaltend, dunkelfruchtig auf eine dezente Rauchnote. Ein sehr schön gereifter Cheval-Blanc, hat noch Reserven. bis 2026+, 18 vvPunkte, (92/100)

1985, Ch. Cheval-Blanc, St-Emilion: Mittlers Rubin, noch schöner Glanz. Die Nase offen, mit viel reifer und süsser Frucht, rote und dunkle Beeren wechseln sich ab, dazu auch etwas Pferdesattel, Zedernholz, Waldboden, Torf, sehr gute Komplexität. Am Gaumen weicher Auftakt, sehr viel Schmelz, fast etwas üppig, das ist eine Rubensfigur doch mit viel Charme, auch hier leicht animalische Noten, dazu wieder diese reife und doch saftige Frucht, gestützt von dezenten Tanninen, sehr schöne Würze, ein Hauch Süssholz umgeben von viel süssem Schmelz, der Wein hat Rasse und Klasse und endet im Abgang ausgesprochen lang und ausgewogen, das macht heute uneingeschränkt Spass, im besten Trinkfenster. Rubens der schönsten Art. Bis 2025+, 19 vvPunkte, (95/100)

Ch. Cheval Blanc 1981, 1985, 1986 und 1988 (v.l.n.r) – (c) vvWine.ch

1986, Ch. Cheval-Blanc, St-Emilion: Mittleres Rubin, aufgehellter Rand. Die Nase feinduftig, offen aber weniger opulent als beim 85er, florale Noten wechseln sich ab mit viel Zedernholz, dahinter Schwarztee, tief und mit sehr guter Komplexität. Am Gaumen mit straffem Auftakt, elegant und doch dicht, da sind feine, gut integrierte aber noch markante Gerbstoffe, sehr feine, saftige Frucht, die Säure stimmt, insgesamt äusserst elegant und mit viel Rasse, deutlich gradliniger und straffer als der 85er mit weniger Rubensfigur, dratig aber nicht karg, die klassische Bordeaux-Variante. Im Abgang mit sehr guter Länge, endet auf knackigen, roten Früchten. Hat noch sehr gute Reserven. Jetzt bis 2035+, 19 vvPunkte, (94/100)

1988, Ch. Cheval-Blanc, St-Emilion: Mittleres Rubin, aufgehellter Rand. Anfangs etwas staubig anmutende Nase, das braucht viel Luft, dann Rauch, Tee, Tabak, Torf, auch ein Anflug von Bouillon, dazwischen dunkle Kirschen, würzige Noten, sehr gute Komplexität. Am Gaumen mittelkräftiger Auftakt, rotfruchtige Aromen, strukturiert, mit etwas austrocknenden Gerbstoffen, die Säure ist saftig, verleiht dem Wein Frische, das ganze Paket wirkt aber noch etwas ungestüm, sollte unbedingt noch reifen, endet mittellang auf rote Kirschen und eine feine Würze. Ein nicht ganz einfacher Zeitpunkt, doch die Frucht scheint solide genug, so dass der Wein in meinen Augen durchaus eine gute Zukunft hat. Könnte in 5-10 Jahren durchaus für eine Überraschung gut sein. 2020-2030+, 18+ vvPunkte, (91+/100)

Sichtlich zufrieden: Jean-Pierre mit 12 Jährgängen Ch. Cheval Blanc (c) vvWine.ch

Der letzte Flight bestand aus den jüngsten Jahrgängen. 1996, 1998, 2001 und 2004 standen nebeneinander im Glas. 1996 war klimatisch ein sehr gutes Jahr für die Medoc-Weine (linkes Ufer) dagegen sind viele Weine vom rechten Ufer (St-Emilion & Pomerol) weniger gut ausgefallen. Der 1996er Cheval Blanc zeigte aber eindrücklich auf, wie finessenreich auf Cheval-Blanc auch in schwierigen Jahren gearbeitet wird.

Ch. Cheval Blanc 1996 und 1998 (v.l.n.r.) – (c) vvWine.ch

1996, Ch. Cheval-Blanc, St-Emilion: Kräftiges Rubin, schöner Glanz. Die Nase burgundisch, fruchtbetont, anfangs fast etwas dropsig, mit viel Kirschfrucht, reifen Himbeeren, verspielt und feminin, mit mehr Luft auch Anflüge von Zedernholz, sehr gute Komplexität. Am Gaumen straffer Auftakt, auch hier sehr fruchtbetont, präzis, klar, ungemein saftig und mit feiner Würze, ein knackiger, leichter Wein der auch am Gaumen mehr an Burgund als Bordeaux erinnert, macht Spass und zeigt eine sehr schöne Harmonie. Sicher kein grosser Jahrgang aber ein sehr gutes Beispiel dafür, dass auch Bordeaux in kleinen Jahrgängen finessenreiche Weine produzieren kann. Jetzt bis 2025, 17.5 vvPunkte, (89/100)

1998, Ch. Cheval-Blanc, St-Emilion: Kräftiges Rubin, schöner Glanz. Die Nase tief, nobel und einnehmend, florale Aromen, Veilchen, getrocknete Rosen, Schwarztee, Zedernholz, dunkle Kirschen, schwarze Johannisbeeren, würzige Noten, noch jugendlich verhalten, zeigt aber jetzt schon Grösse, sehr gute Komplexität. Am Gaumen ungemein straffer Auftakt, sehr gut strukturiert, natürlich noch viel zu jung aber grossartig ausgewogen, feinste Tannine, sensationelle Struktur, dicht, kraftvoll aber nicht schwer, ein hochelegantes Wein-Monument ist hier im Glas, unbedingt liegen lassen und sich in 10-20+ Jahren darüber freuen. 2025 bis 2040+, 19.5 vvPunkte, (97/100)

Ein Top-Wein: Ch. Cheval Blanc 1998 (c) vvWine.ch

2001, Ch. Cheval-Blanc, St-Emilion: Kräftiges Rubin, schöner Glanz. Offene Nase, rauchig, würzig, mit vielen Kirschen, Brombeeren, Weihnachtsgewürzen, sehr gute Komplexität. Am Gaumen mit kräftigem Auftakt, sehr schöne Frucht, auch hier würzig, saftig, kraftvoll aber nicht schwer, sehr Bordeaux, noch einiges an Gerbstoff und gut integrierte Säure, komplex, verspielt und ausgewogen. Braucht noch etwas Reife. Nicht gross aber sehr gut gelungen. Ein Mittelstreckenläufer. 2020 bis 2030+, 18.5 vvPunkte, (93/100)

2004, Ch. Cheval-Blanc, St-Emilion: Kräftiges Rubin, schöner Glanz. Anfangs laktische Nase, mit mehr Luft sehr floral, viele Veilchen, Rosen, würzig und mit sehr schöner Komplexität. Am Gaumen weicher Auftakt, dann packt der Wein zu, noch sehr jung, ungestüm, merklich Tannin, sehr reife, rote und dunkle Beeren, die Säure ist gut integriert, komplex ohne zu überfordern, insgesamt ausgewogen und angenehm langem Abgang. Gefällt, ohne Anspruch auf Grösse. 2020 bis 2035, 18.5 vvPunkte, (92/100)
Ch. Cheval Blanc 2001 und 2004 v.l.n.r.) – (c) vvWine.ch

Zum Abschluss wurde ein gereifter Sauternes aus dem Jahr 1967 serviert. Dieser vermochte leider nicht wirklich zu überzeugen, fehlte es ihm doch deutlich an Säure. Trotzdem, auch das war eine durchaus interessante Wein-Erfahrung.

1967, Ch. Suduiraut, Sauternes: kräftiges Gold, Kupferreflexe. Offene Nase, sehr intensiv, Mandeln, Aprikosen, Haselnuss, Honig, Nadelharz, wirkt noch sehr jugendlich, gute bis sehr gute Komplexität. Am Gaumen weicher, vollmundiger Auftakt, viel Süsse, sehr dicht doch mit zu wenig Säure, wirkt klebrig, etwas unharmonisch, zwar angenehm komplex und mit solidem Abgang aber weit weg von gross und mit fehlender Ausgewogenheit. Natürlich, auch dies war aufgrund des reifen Jahrgangs ein eindrückliches Sauternes Erlebnis aber qualitativ leider kein Vergleich mit dem kürzlich verkosteten 47er Suduiraut (19.5 vvPunkte 97/100). Jetzt bis 2050+, 17.5 vvPunkte, (88/100)

Zum Schluss möchte ich mich bei Andreas Berghoff für die Organisation dieses eindrücklichen Wein-Abends bedanken. Vielleicht heisst es bald: 12 Jahrgänge Chateau Ausone?

Ch. Suduiraut 1967 (c) vvWine.ch
Impressum: Adrian van Velsen, Alte Spinnerei 1, CH-5210 Windisch, Telefon +41 44 350 01 44. Adrian@vvWine.ch
0 Kommentare

Dein Kommentar

Want to join the discussion?
Feel free to contribute!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.