Von Punkten und Stilistiken.

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Ich verkostete drei Weine aus dem aktuellen Sortiment von Gerstl. Zwei Mal Spanien, ein Mal Italien. Es sind Weine der mittleren Preisklasse, sie kosten zwischen 25 und 30 Franken pro Flasche. Alle drei sind – in meinen Augen und nach bestem Wissen und Gewissen – qualitativ gleichwertig. Und doch sind sie grundverschieden; in ihrer Stilistik.

Drei Weine, drei Mal sehr gute Qualität im Glas und dennoch gab ich drei Mal «nur» 17.5 respektive 89 Punkte. Warum nicht mehr? Und viel wichtiger: Warum wird eine Flasche schneller leer als die andere? Warum mag ich ganz persönlich den einen Wein weniger und den anderen mehr (und mein Nachbar genau umgekehrt?)? Ich versuchte für einmal die Vor- und Nachteile jedes Weines am Schluss meiner Degustationsnotiz zusammenzufassen.

Wein 1: Von Javier Rodríguez. Ein «Winemaker» und – so sagt es die Hompepage – immer für eine Überraschung gut. Er keltert aus uralten Parzellen im Rioja, Toro und Bierzo Weine, die – Zitat Gerstl – «eigentlich das Doppelte kosten müssten». Das Ganze gibt’s natürlich nur in Kleinstauflagen. Im Glas ein Tempranillo, der in gebrauchten Whiskey-Fässern ausgebaut wurde und geradezu nach einem Bärenfell vor dem Kaminfeuer schreit.

2017, Tempranillo aged 18 months in Whisky barrels, Rodríguez Sanzo, Toro DO, Spanien (100% Tempranillo; Ausbau während 18 Monaten in gebrauchten Whisky-Fässern, 15% Alkohol.) Kräftiges Rubin. Einlullende Nase, intensiv, dunkelfruchtig mit Pflaumen, dunklen Kirschen, Brombeeren, Gewürzbrot, schwarzer Schokolade, Tabak, das Ganze unterlegt von deutlichen Whiskey-Aromen, malzig, rauchig, irgendwo zwischen Basler-Läkerli und Rumtopf. Im Gaumen wuchtig, vollmundig, mit Körper und etwas ruppigem Tannin, reife Frucht, erinnert aromatisch an eingelegte Kirschen, die Piemont-Praline in flüssiger Form lässt grüssen, die Fruchtsüsse wird von genügend Säure gepuffert. Endet im Abgang langanhaltend mit einer alkoholbedingt etwas brandigen Note. Für hitzeresistente Fruchttrinker eine durchaus interessante Kuriosität. Vom Stil her ganz und gar nicht mein Ding jedoch mit viel Komplexität und südlichem Temperament ausgestattet. Jetzt bis 2025+, 17.5 vvPunkte (89/100).

+ Was für den Wein spricht: Er zeigt eine grosse, aromatische Komplexität in der Nase und im Abgang eine sehr gute Länge.

– Warum er keine 90+ Punkte erhält: Es fehlt an Balance, die 15% Alkohol und eine «eingekochte» Frucht verhindern ein harmonisches Gesamtbild.

Spanisches Feuer – einmal perfekt ausgewogen, einmal etwas zu viel des Guten (c) vvWine.ch

Wein 2: Ein Wein aus dem Alto Piemonte. Die Böden in der Region um Lessona weisen weltweit einen der niedrigsten pH-Werte auf. Sie sind reich an Mineralstoffen und verleihen den Weinen eine faszinierend duftig-mineralische Note. NB. Man hat schon im Jahr 1861 mit einem Lessona auf die Einheit Italiens angestossen!

2016, Uvaggio, Proprietà Sperino, Coste della Sesia Rosso DOC, Piemont, Italien (75% Nebbiolo, 20% Vespolina, 5% Croatina). Mittleres Granatrot. In der Nase ein herrlicher Duft, zum Eintauchen, komplex mit Noten von roten Kirschen, Pflaumen, Gewürzen, Kümmel, Haselnuss, Tomaten, Mandeln, Schwarztee und florale Aromen, die an Veilchen erinnern. Im Gaumen weich und zugänglich, strahlt Opulenz und Wärme aus, bleibt dabei klar definiert und zeigt eine solide Struktur, es fehlt etwas an Körper und Druck, die feinen Gerbstoffe und eine gut integrierte Säure stützen die reife Frucht. Im Abgang feinwürzig aber kurz, endet auf Granatapfel und würzige Noten. Ein Wein, der mit Klarheit, Authentizität und Harmonie begeistert; Love it or hate it – I love it! Jetzt bis 2027, 17.5 vvPunkte (89/100).

+ Was für den Wein spricht: In der Nase mit faszinierender Aromatik, Komplexität und insgesamt mit einer sehr guten Harmonie.

– Warum er keine 90+ Punkte erhält: Es fehlt im Gaumen an Druck und im Abgang an Länge.

Stilistisch auf meiner Linie: Ein Nebbiolo-lastiger Wein aus dem Nordpiemont (c) vvWine.ch

Wein 3: Von Fernando Mora, seines Zeichens Master of Wine (MW). Fernando setzt mit seinen Weinen in der DO Campo de Borja auf uralte Garnacha-Reben. Sein Ziel ist nicht Konzentration sondern Frische. Und das gelingt ihm. Perfekt gekeltert und mit viel Ausgewogenheit ist dieser Wein quasi der perfekte Kompromiss aus Wein 1 und Wein 2. Er zeigt – wie der Piemonteser – Eleganz und Finesse und verbindet diese – wie beim Whiskey-Wein – mit einer gewissen Kraft und südlichem Temperament.

2016, As Ladieras, Cuevas de Arom, Campo de Borja DO, Spanien (100% Garnacha aus alten Reben). Mittleres Rubin. Intensiver und gleichzeitig sehr feiner Duft, wirkt frisch, kräuterig, rotfruchtig, mit Kirschen, Walderdbeeren, Süssholz, Rauch und einer steinig-kühlen Note. Im Gaumen gradlinig und klar, mittlerer Körper, sehr reine und knackige Frucht, reifes, fein gewobenes Tannin und eine saftige Säure verleihen Struktur, der Wein zeigt Trinkfluss und viel Balance, „easy drinking“, zugänglich und unkomplizert, bleibt trotz 14.5% Alkohol ausgewogen und wirkt nicht brandig. Endet im Abgang mit guter Länge auf Himbeeren, Granatapfel und Lakritze. Schwupp und weg. Jetzt bis 2027+ geniessen. 17.5 vvPunkte (89/100).

+ Was für den Wein spricht: Top gemacht, mit Frucht, Kraft und dennoch Frische ausgestattet.

– Warum er keine 90+ Punkte erhält: Es fehlt an Eigenständigkeit und Charakter, ein fast „zu schöner“ und dadurch etwas austauschbarer Wein. Chris von Rohr würde sich wohl „Me Dräck“ wünschen.

Fazit: Drei qualitative sehr gute Weine und drei perfekte Darsteller für einen stilistischen Vergleich. Alle drei Weine in einer fröhlichen Grillrunde serviert… ich bin sicher, da ist für jeden Geschmack etwas mit dabei. Die Weine sind bei Gerstl erhältlich.

3 Kommentare
  1. Josef Lindlbauer
    Josef Lindlbauer says:

    Guten Morgen Adrian,
    ich bin schon sehr lange ein Leser Deines Blogs und werde es auch noch lange sein.
    Bis heute bin ich begeistert von der objektieven Beurteilung der Weine.
    Ich selbst bin langjähriges Mitglied in diversen Weinrunden. Dort bemerke ich immer wieder das bei längeren Verkostungen es sich einschleicht einen nicht spektakulären Wein einfach so die 90 Punkte zu geben um den Spender nicht zu beleidigen. Für mich ein Unding aber es schleicht sich halt ein.
    Ich frage mich ob „Eingekochte Früchte, Rumtopf, Alkoholisch…. “ wirklich 89 Punkte sind. In meiner Skala und ich sehe es so wie Du das mir diese Weine überhaupt nicht schmecken wären das vielleicht 83 Punkte oder weniger.
    Parker schreibt „A barely above average to very good wine“ von 80 – 89 Punkten.
    Was ich Dir sagen möchte ist das ich hoffe das Du nicht „altersmilde“ wirst und nicht wie Gerstl und Lobenberg immer die 89-91 stehen hast….. Bleib kritisch und höre bitte auf einen Wein zu verteidigen der nicht 90 Punkte hat….. das ist nicht nötig.
    LG Dein kritischer Leser
    Josef

    Antworten
  2. Josef Lindlbauer
    Josef Lindlbauer says:

    Guten Morgen Adrian,

    ich bin seit langen begeisterter Leser Deines Blogs. Es gefällt mir immer das Du kritisch bist und gut verkostest.
    In letzter Zeit habe ich das Gefühl das es weniger kritisch zugeht wie sonst.
    Ich selbst bin in diversen Weinrunden und es ist Fakt das gegen Ende der Verkostungen immer bei unspektakulären Weinen die 90 Punkte aufgerufen werden.
    Meist um den Spender nicht zu blamieren bzw. deformieren.
    Ich selbst finde das für Schwachsinn. Kein Mensch braucht die sogenannten 90 Punkte Weine.
    „A barely above average to very good wine” beschreibt Parker in der Range von 80 – 89 Punkte.
    Was möchte ich sagen….. Weine die gekochte Früchte, alkaholisch und brandige Nase ist auf meinem Raster NIEMALS 89 Punkte.
    Ich hoffe das Du nicht „altermilde“ wirst.
    Bitte höre auf die warum nicht 90 Punkte zu verteidigen…… der Wein ist so wie er ist…..

    Bleib kritisch…. Dein treuer Leser

    Josef

    Antworten
    • adrian.vanvelsen
      adrian.vanvelsen says:

      Lieber Josef, danke für deinen wertvollen Input. Ich versuche mit bestem Wissen und Gewissen kritisch zu sein und hoffe nicht, dass „Altersmilde“ mit ins Spiel kommt. Glaub mir, da ich das Ganze hier nicht kommerziell sondern aus reiner Lust und Freude am Thema betreibe, schreibe ich nur über Weine die qualitativ und in Sachen Komplexität „verheben“. Glaub mir, ich erhalte auch immer wieder Weine, die ich nicht beschreibe, weil sie zu banal oder langweilig sind. Aber diese drei Weine verheben in Sachen Komplexität durchaus, haben aber – darum auch der Bericht – „kleine Mängel“… Darum hab ich diese drei Weine auch beschrieben und ich stehe zu den „hohen“ Bewertungen. Gekochte Früchte sind in meinen Augen „per se“ kein negatives Element (ich persönlich mag es nicht so, aber deswegen ist der Wein rational betrachtet nicht schlecht). Wenn die Komplexität vorhanden ist, und diese Frucht auch von Säure und nicht zu merklich Alkohol begleitet ist, kann so ein Wein sogar mehr als 90 Punkte machen. Wäre dem nicht so, könnte ein Amarone wohl nie 89 Punkte machen, oder auch viele Chateauneuf-du-Pape etc. – da bei diesen Weinen gekochte Früchte „quasi zum Programm gehören“. Hier kommt die Stilistik und der Weintyp mit ins Spiel, die ich bei meinen Bewertungen auszublenden versuche. Mein persönlicher Geschmack fällt mit max. 2 Punkten (auf der 100er-Skala) ins Gewicht, der Rest der Punktzahl ist „rein technisch“. Es ist also wichtig, die Notizen zu lesen und sich nicht „blind“ auf die Punkte zu verlassen. Ich hab übrigens kurz die drei Weine gegooglet und festgestellt, dass ich teils sogar „härter“ bewerte als die Masse resp. Kritiker wie Jancis R. Ich bleib kritisch! Danke nochmals für deinen Input. Herzliche Grüsse, Adrian

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