Weinlagertemperatur: wir machen das seit 200 Jahren so.

4x Ch. Camensac 2004, knapp 10 Jahre an verschiedenen Orten gelagert (c) vvWine.ch

Vor rund 10 Jahren machte ich mir grosse Sorgen, ob denn meine Tropfen richtig gelagert sind. Temperatur, Luftfeuchtigkeit, alles im grünen Bereich? Eine Frage, die jeden Weinliebhaber wohl mal beschäftigt hat. Auch heute kommen immer wieder jüngere Weinfreunde auf mich zu, mit der Frage nach den idealen Lagerbedingungen.

Die idealen Lagerbedingungen für Wein sind – das ist kein Geheimnis – eigentlich klar. Temperatur 10-12 Grad, Luftfeuchtigkeit 65-75%, dunkel, ohne Vibrationen und ohne irgendwelche störenden Gerüche wie Heizöl etc. Soviel zur Theorie.

Ich kann mich erinnern als ich im Sommer 2003 auf Ch. Mouton Rothschild war und dort den Raritätenkeller (ja, das ist da, wo die 1945er und so lagern) besichtigen durfte. Es war rund 21 Grad warm im Keller und ich fragte scheu, ob dies nicht etwas gar warm sei für die edlen Tropfen. Die Antwort kam prompt und direkt: „Wir machen das seit über 200 Jahren so und hatten noch keine Probleme“. Was will man dazu noch sagen?

Die Praxis. 

Nicht jeder hat „ideale Bedingungen“ in seinem Keller. So machten wir einen pragmatischen Realitäts-Check. Wir kauften uns im Jahr 2007 vier Flaschen Ch. Camensac 2004 und lagerten diese während knapp 10 Jahren an unterschiedlichen Orten.

Eine Flasche bei sogenannt idealen Bedingungen im Klimaschrank: 11 Grad, 73% Luftfeuchtigkeit, dunkel, vibrationsfrei.

Eine zweite Flasche in der Garage des Ferienhauses in Maloja. Die Temperatur schwankt dort zwischen 8 und 15 Grad und die Feuchtigkeit ist eher etwas zu tief. Da das Auto direkt daneben steht riecht es dort ganz wenig nach Öl und Benzin.

Eine weitere Flasche lagerte im ebenerdigen Keller in Schmerikon unter „nicht-idealen“ Bedingungen. Die Temperatur schwankt dort stark aber nur saisonal: im Winter kühlt es ab auf ca. 5 Grad, im Sommer steigen die Temperaturen teils bis 24 Grad. Die Feuchtigkeit ist dafür sehr gut.

Und schliesslich die Desaster-Lagerung: im Schrank des Wohnzimmers in Schmerikon: teils kühlt es dort ab auf 17 Grad, im Sommer oder in der Übergangszeit mit Kaminfeuer wird’s in der gemütlichen Stube gerne auch mal 28 oder 30 Grad warm. Auf jeden Fall aber schwanken die Temperaturen öfters stark und im Haus ist es auch deutlich zu trocken (allerdings lag der Wein ohne Einfluss von Licht).

Das Resultat dieser unterschiedlichen Lagerbedingungen haben wir letzten Freitag verkostet. Blind, in identischen Gläsern und bei identischen Ausschank-Temperaturen.

Der Korken von Wein Nr. 1 ist beim Entkorken gebrochen. (c) vvWine.ch

Die Füllstände und Korken.
Die Füllstände waren bei allen Flaschen sehr gut. Für deutliche Unterschiede hätten die Flaschen wohl nochmals 20 Jahre liegen müssen. Bei den Korken aber gab es einen Ausreisser: der Korken von Wein Nr. 1 (links im Bild) war trockener und brach beim Herausziehen an einer Seite. Zufall? Oder war dies vielleicht das Resultat der Wohnzimmer-Lagerung?

Die Verkostung
Alle Weine wurden nach dem Entkorken währen 30 Minuten offen atmen gelassen und kamen dann bei rund 16 Grad ins Glas.

1. Farbe: alle 4 Weine identisch, dunkles Bordeauxrot, noch schöner Glanz (3/3).

Verkostung von unterschiedlich gelagerten Weinen (c) vvWine.ch

2. Erste Nase (ohne Belüftung)
Wein 1: offen, reif, Leder, Heu, etwas gekochte Frucht, wirkt gereift (4.5/6).
Wein 2: etwas fruchtbetonter, dunkler, kühler, mehr Vanillearomen (5/6).
Wein 3: rauchiger, nobler, etwas weniger expressive Frucht, wirkt noch verhalten (5/6).
Wein 4: tief, noch etwas verschlossen, rauchig, sehr frisch und jugendlich (5/6).

3. Zweite Nase (mit Belüftung durch Schwenken im Glas)
Wein 1: der Wein öffnet sich weiter, wirkt schon recht reif, erinnert an einen 95-98er (4.5/6)
Wein 2: die Frucht wird intensiver, schöne Cassis-Aromen treten hervor (5/6).
Wein 3: der Duft wird kräftiger, nobler, wieder Rauch und dunkle Frucht, tief und schön (5/6).
Wein 4: nach Belüften sogar etwas stechend, wirkt noch ungestüm, jugendlich, braucht Zeit (4.5+/6)

4. Gaumen
Wein 1: weich, reif, zugänglich. Angenehmer Trinkfluss, die Frucht wirkt etwas gezehrt, im Abgang etwas unharmonisch (6.5/9)
Wein 2: weich, zugänglich, deutlich harmonischer mit schöner Frucht und gut integriertem Gerbstoff(7/9).
Wein 3: sehr weich, etwas laktisch, voluminöser mit satter Frucht und Anflügen von Vanille, samtige Gerbstoffe, harmonisch (7/9).
Wein 4: kräftig und ungestüm auch am Gaumen, braucht deutlich Luft um sich zu finden, neben der Satten Frucht auch Aromen von Lebkuchen. Nach ca. 1h Belüftung im Dekanter wirkt der Wein deutlich harmonischer. Mit Abstand der jüngste Wein in der Runde, aktuell noch weniger zugänglich als die anderen drei (7/9)

5. Gesamteindruck
Wein 1: alles in allem reif aber etwas unausgewogen (1.5/2)
Wein 2: schöner Wein der sich in einer idealen Reifephase befindet (2/2)
Wein 3: schöner Wein der sich in einer idealen Reifephase befindet (2/2)
Wein 4: noch jugendlicher Wein der erst in 2-3 Jahren in sein ideales Trinkfenster kommen dürfte (2/2)

Die Rangierung
Wein 1: 15.5 vvPunkte (79/100) – guter Alltagswein.
Wein 2: 17 vvPunkte (85/100) – Überdurchschnittlich guter Alltagswein, Kauftipp wenn der Preis stimmt.
Wein 3: 17 vvPunkte (86/100) – Überdurchschnittlich guter Alltagswein, Kauftipp wenn der Preis stimmt.
Wein 4: 17 vvPunkte (85+/100) – Überdurchschnittlich guter Alltagswein, Kauftipp wenn der Preis stimmt.

Die Auflösung.
Wein Nummer 1 war wie beim Öffnen vermutet, der Schrankwein. Zu trocken und relativ warm gelagert wirkte die Flasche deutlich gezehrt. Wein Nummer 2 war der Wein aus dem Schmerikon-Keller; mit deutlichen saisonalen Temperaturschwankungen zugänglich und im idealen Trinkzeitfenster. Wein Nummer 3 lagerte in der Garage in Maloja, kühl und mit weniger starken Schwankungen. Dieser Wein war an diesem Abend mein Favorit, da er eine gute Mischung aus Zugänglichkeit und Frische darstellte. Wein Nummer 4 schliesslich war der „ideal gelagerte Wein“. Er zeigte sich am wenigsten zugänglich, brauchte deutlich Luft (Dekanter) und hat entsprechend noch mehr Lager-Fähigkeit als die anderen Weine.
Verkostung von unterschiedlich gelagerten Weinen (c) vvWine.ch

Mein Fazit.

Abgesehen von der zu warmen und trockenen Schranklagerung hielten sich alle Flaschen gut. Wer seine Bordeaux-Weine also mit saisonalen Schwankungen und nicht über Monate zu warm lagert, kann davon ausgehen, dass diese sich gut entwickeln und sich zwischen dem 10. und 20. Jahr in einem sehr schönen Trinkfenster befinden. Wer die Weine unter stabilen Bedingungen lagert, kann diese sogar noch länger lagern, dafür ist eine deutliche Belüftung der Weine vor dem Servieren angesagt. Kurz: Ob nun Eurocave, Weinklimazelle oder einfach ein dunkler Keller, der einigermassen kühl ist und bezüglich Temperatur maximal saisonal schwankt: die Weine scheinen weniger anspruchsvoll zu sein als vielfach angenommen wird. Mir scheint, dass man auf Mouton Rothschild recht hatte seinerzeit und wegen ein paar Wochen über 20 Grad keine Panik machte…
Impressum: Adrian van Velsen, Alte Spinnerei 1, CH-5210 Windisch, Telefon +41 44 350 01 44. Adrian@vvWine.ch
14 Kommentare
  1. Walter
    Walter says:

    Super Test…. den ich bestätigen kann.
    Mein Weinkeller entspricht dem Typ 2 „Schmerikon“ kommt diesem sehr nahe.
    Eher zu Feucht, dafür stock dunkel ohne Licht.
    Nie irgendwelche Probleme beim Trinkgenuss, auch nicht bei 20 Jahren gelagerten Weinen.
    Die Etiketten reagieren sehr unterschiedlich auf die etwas zu hohe Feuchtigkeit, je nach Produzent.

    Antworten
    • adrian.vanvelsen
      adrian.vanvelsen says:

      Danke Walter für die Rückmeldung, schön zu sehen, dass auch andere Weinliebhaber dies bestätigen können. Gruss, Adrian

      Antworten
  2. Thierry
    Thierry says:

    Sehr gute Idee mit dem Camensac ! Eigentlich müsste ich es auch versuchen, leider weiss ich erst in 8-10 Jahren ob
    ich einen geeigneten Weinkeller habe !
    Ich (heute 57) habe mich erst im 2010 für Bordeauxweine interessiert, danach habe ich ein paar Flaschen 2009 und 2010
    gekauft,dazu ein Weinkühlschrank !
    Nun habe ich 2014,2015 und 2016 (ca. 264 Fl.) Meyney, Phelan-Segur, de Pressac,, Aiguihle, Seguin, a Voute, Sociando,
    Lebegorce usw. Weine von 25.- bis 40.- Fl.)
    Der Kühlschrank ist voll mit 2009 und 2010 !
    Der Weinkeller hat im Winter ca. 11°C und erreicht im Sommer 19 °C , also langsam rauf und langsam runter!
    Die Luftfeuchtigkeit beträgt zwischen 50 im Winter und 60% im Sommer
    Der Weinkeller ist relativ dunkel. Ich habe über die Bordeauxkisten ein Holzdekel gelegt ( ca. 10cm kleiner damit
    die Luftfeuchtigkeit zirkulieren kann)
    Meine Frage: Soll ich ein zweiter Kühlschrank kaufen oder ist der Weinkeller für die Lagerung von die oben erwähnten
    Bordeauxweine geeignet.
    Ich danke Ihnen im Voraus für die Antwort !
    Gruss
    Thierry

    Antworten
    • adrian.vanvelsen
      adrian.vanvelsen says:

      Hallo Thierry. Ich deine, dein Keller sollte für Bordeaux-Weine kein Problem sein – 19 Grad im Sommer sind in meinen Augen unkritisch. Allenfalls würde ich schauen, dass du die Weissweine und Pinot Noir in den Kühlschränken drin hast, die sind gemäss Erfahrungen von Weinfreunden heikler als Bordeaux-Weine in Rot. Gruss, Adrian

      Antworten
  3. Flo
    Flo says:

    Super interessanter Versuch! Danke für den schönen und ausführlichen Bericht, den ich erst heute entdeckt habe. Gibt eine ganz praktische Antwort auf die Frage, die ich mir auch schon gestellt habe.

    Antworten
  4. Max Hilpert
    Max Hilpert says:

    Habe den Bericht gerade gelesen. Ich mache mir immer mal wieder Sorgen, das mein Weinkeller im Sommern zu warm sein könnte…jetzt nicht mehr! Dafür vielen Dank! Max

    Antworten
  5. Alexander Ulrich
    Alexander Ulrich says:

    Toller Bericht, super gemacht. Ich kaufe die letzten Jahre viel gereifte Bordeaux Weine und habe sehr selten richtig schlechte Flaschen darunter, was natürlich im schlechten Fall auch am Wein selbst liegen kann. Immer wieder schreiben mir Weinfreunde, so Flaschen nicht kaufen zu wollen, wenn man nicht genau weiss, woher die Flaschen stammen. Ich bin da weniger beunruhigt, denn jedem normalen Menschen sollte klar sein, teuren Wein nicht auf der Fensterbank stehen zu lassen. Eigentlich kann es mir nur recht sein, weniger Mitbieter zu haben, denn die Weine sind teuer genug. Und mir ist bewusst, dass Weissweine und Burgunder viel schlechter reagieren, wenn sie schlecht gelagert wurden. Mein Keller ist isoliert und klimatisiert, bei 14 Grad und 70% Luftfeuchte. Ich habe eher Angst, dass einige Flaschen das Genussfenster erst erreichen werden, wenn ich das Geistliche gesegnet habe..

    Antworten
  6. Marco
    Marco says:

    Ich wusste AvV hat einen Bericht erfasst, als ich wiedermal diesen Dezember Panik schob weil mein Keller auf die 10 Grad zuging (Im Sommer 14-16 Grad). Kurz wieder gelesen und wieder beruhigt :). Vorallem das mit dem Umgebungsgeruch, eigentlich sollte klar sein das dieser (fast!) keinen Einfluss haben sollte, denn wenn der Geruch eindringt, dringt auch Luft rein, dann haben wir ein anderes Problem beim Wein als die paar Celius Grade unterschied. Danke dir Adrian

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  1. […] Pinot Noir handelt. Für solche Weine sind gute Lagerbedingungen matchentscheidend. Ein in Eigenregie langjährig angelegter Feldversuch hat zwar gezeigt, dass Bordeaux-Weine etwas weniger sensibel reagieren, als allgemein angenommen, […]

  2. […] Das Fazit: Alle Weine waren nach den 10 Jahre noch absolut genießbar. Der Weinkenner hat zwar Unterschiede festgestellt, aber diese waren nur marginal. Die detaillierten Ergebnisse sind sehr spannend und ich empfehle den gesamten Artikel zu lesen. […]

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