Ch. Cantemerle 1949: mit 66 Jahren, da fängt das Leben an…

Udo Jürgens erkannte es schon früh: mit 66 Jahren, da fängt das Leben an. Ich brauchte etwas länger, um einen Wein nach 66 Jahren in der Flasche zu entkorken.

Lidwien & Evert, 24. Februar 2016 (c) vvWine.ch

Anlass war der Besuch meiner Tante Lidwien aus Holland bei uns in Windisch. Lidwien, 1949 geboren, und ihr Mann Evert feierten just Ihren 23. Hochzeitstag und ich wollte die beiden darum mit einer schönen Flasche Wein überraschen. Da 1993 zwar das Jahr ihrer Hochzeit, nicht aber ein oenophiles Topjahr ist und ich zudem keinen 93er Bordeaux griffbereit hatte, entschloss ich mich eine Flasche Cantemerle 1949 zu kredenzen.

1949 war nicht nur bei Tanten, sondern auch im Bordeaux, ein sehr gutes Jahr. Genauso wie 1945 und 1947 sind potenziell noch trinkbare Weine wie Ch. Cantemerle 1949 heute gemäss Wine-Searcher nur noch zu sehr hohem Kurs zwischen CHF 300 und 800.– zu finden.

Füllstand Ch. Cantemerle 1949 (c) vvWine.ch

Der Füllstand meiner Flasche, lag irgendwo zwischen „mid“ und „top shoulder“. Dies stimmte mich anfangs etwas kritisch doch ganz im Sinne von „no risk, no fun“ wagen wir es trotzdem, den Wein zu öffnen.

Der Korken von Ch. Cantemerle 1949 (c) vvWine.ch

Kein leichtes Unterfangen bei einem Korken, der in 1000 Stücke zerfällt. Nur dank viel Können und Geduld meiner besseren Hälfte konnten wir den Wein, ohne diesen vorher dekantieren zu müssen, servieren. Im Glas folgte dann eine grosse und durchaus positive Überraschung. Natürlich hatte der Weine eine reife Farbe und durch die Korken-Operation auch etwas gar viel Trübstoff.

Ch. Cantemerle 1949 (c) vvWine.ch

Doch die anfänglichen Unsicherheiten wurden durch die Nase rasch eliminiert. Meine Notizen:

Der Wein zeigt sich angenehm duftig mit Noten von Waldboden, Zedernholz, Torf, Pilzen und auch rauchigen Komponenten die mich an Single Malt erinnern. Man wägte sich irgendwo zwischen einem Wein aus den 60ern oder 70ern, mit durchaus guter bis sehr guter Komplexität und viel Spannung.

Am Gaumen weich im Auftakt, nach wie vor mit schöner Frucht, Aromen von roten Beeren, Kirschen und mit Vanille aromatisierten Pflaumen. Die Gerbstoffe sind vollständig abgeschmolzen, die Säure sehr gut eingebunden und überhaupt nicht dominant. Sehr gute Komplexität, im Abgang von mittlerer Länge und mit wunderbarem Trinkfluss. Technisch bewertet, 18 vvPunkte (90/100) – emotional natürlich noch mit einem ganzen Bonus-Punkt obendrauf.

Ein sehr schönes Altwein-Erlebnis mit lieben Menschen, einem jung gebliebenen Cantemerle 1949 aus dem Haut-Médoc sowie einer noch jünger gebliebenen, sehr attraktiven Tante Lidwien. Auf das wir sowas sehr bald wiederholen können. Es lebe 1949!