Dem Trinker sein Glas.

Die Welt wäre eine Bessere, würde die Menschheit Champagner aus Weingläsern trinken. Dann nämlich, wäre klar, dass wir alle auf demselben Genuss-Niveau sind und es gäbe keinerlei Unruhen mehr. Wir wären ein Planet geeinter Trinker und Geniesser. Nur sind wir davon weit entfernt und der Wunsch bleibt wohl für immer Utopie. Aber von vorne:

Bei «Glas» denken die meisten Menschen wohl erst einmal an eine Fensterscheibe, eine Blumenvase oder z.B. ein Weinglas. Tatsächlich aber, ist Glas ein wichtiger Werkstoff. Ein extrem wandelbares Supermaterial mit hochinteressanten Eigenschaften und Fähigkeiten.

Wie Erbschaftsstücke: Gläser von Ritzenhoff (L) und Villeroy Boch von Globus

Glas ist nämlich kein Ding, sondern ein Zustand.

Die meisten kennen Glas als eine Mischung aus Sand, Soda und Kalk. Diese Mischung wird in einem Schmelzofen erhitzt und dann abgekühlt. Dieses Abkühlen der Schmelze passiert aber so schnell, dass die Moleküle darin kein normales Kristallgitter bilden können, wie dies andere Feststoffe tun. Die Schmelze erstarrt in einem Zwischenstadium von flüssig und fest. Sie sieht damit zwar stabil aus, verhält sich auf molekularer Ebene aber eher wie eine Flüssigkeit.

Diese Form von amorphem Feststoff bezeichnen Chemiker als «Glas». Theoretisch ist es also möglich aus nahezu jedem Feststoff ein Glas herzustellen. Möglich wäre das zum Beispiel auch aus Metallen. Und das spannende am Ganzen ist, dass unter bestimmten Umständen ein Glas nach dem Erstarren in geringem Masse auch noch fliessen kann.

Somit wirft der Blick auf den Flaschenboden spannende Fragen auf und kann philosophisch ganz neu betrachtet werden. Erste Erkenntnisse bitte unten in den Kommentaren notieren.

Kam ins Boccalino: Chianti Fiasco Flaschen (c) ipalagio.de

Das Weinglas.

Die nützlichste Erfindung seit der Erfindung des Glases, ist selbstverständlich das Weinglas (Einsprachen dazu bitte in den Kommentaren).

Meine erste Erinnerung an Weingläser war das Glas meines Vaters, respektive die Gläser meiner Eltern. Die waren so ähnlich wie die Riedel Burgundergläser, nur auf Steroide. Die beiden Gläser waren so gross wie dazumal mein Kopf und man hätte darin locker ein paar Goldfische halten können. Zusätzlich waren beide Gläser mit den Initialen meiner Eltern graviert. Das allabendliche Ritual sah vor, dass man gemeinsam anstösst, wobei mein Vater dieses Aquarium eines Glases an sein Ohr hielt und seinem Klang lauschte, den dieses bei der Berührung von sich gab. Es entzückte ihn jedes Mal dermassen, dass er dabei lächeln musste, «oh wie schön» sagte und dann ein Schluck von seinem Faustino I oder dem Don Pascual genossen hat. Sie erinnern sich an Don Pascual, respektive haben Eltern, die das getrunken haben oder trinken das sogar selbst? Dann bitte unten in den Kommentaren reinschreiben.

Wie bei Grossmutter zu Hause (c) P. Uehlinger

Ein Glas ist kein Glas.

Und dann waren da plötzlich die Boccalini, welche auch bei uns Zuhause nicht fehlen durften. Ich glaube mich zu erinnern, dass jeweils der Chianti, also der aus der Bastflasche, im Sommer auf der Terrasse auch aus der Schnabeltasse aus Keramik getrunken wurde. Das aus dem Tessin stammende Keramikgefäss war jeweils mit hübschen Motiven von bekannten Denkmälern, Gebäuden oder Weintrauben verziert. Ich glaub den Scheiss hatten die italienischen Wirte auch in Gross. Also die Billigplörre vom 5 Liter Kanister in den Tonkrug und von da an den Tisch in die kleinen Boccalini oder eben ab damit ins Wasserglas. Jedes Tessiner Grotto war damit bestückt. So überlebt der kleine Tonkrug bis heute und ist nicht tot zu kriegen. An der letztjährigen Olma gab es z.B. einen handfesten Streit, weil ein Wirt billigen, italienischen Merlot im Tessiner Boccalino ausgeschenkt hat. Sowas geht ja gar nicht und die Welt war empört! Analog zum Boccalino gibt es in Deutschland auch das Viertele. Ein Glas mit Henkel. Also klar eine Steigerung zur Schnabeltasse. Man kann sich direkt vorstellen wie gut die Weine schmecken, die darin serviert werden. Da kommen mir gleich Erinnerungen ans Leukerbad mit seinem Bubblefrühstück. Würde da gut hinpassen.

Boccalino (c) Wikipedia / Micha Reiser

Die nutzlosen Schönen.

Dann gibt es die modischen Trinker. Das sind meist Frauen oder irgendwelche Neureiche aus der grossen weiten Welt. Da trinkt man den Bubble auch gerne aus der goldenen Flûte oder hat sonst welch schön verzierte Gläser mit vielen Farben und Mustern. Dicht gefolgt von den Romantikern und Kreativen, gerne auch Künstlern, welche ihren Wein aus den von der Grossmutter geerbten Bleikristallgläsern trinken.

Während sich der Durchschnittstrinker also gerne Mal ein Schlückchen Wein aus Ikea-Gläsern gönnt, empört sich der selbsternannte Weinkenner über das falsche Weinglas bei diesem oder jenem Wein. Also nicht nur ob Weiss oder Rot, sondern was für ein Glas zu welcher Traubensorte passt respektive ob dieses dann auch dem Alter des Weins entspricht. Verstehen Sie mich nicht falsch, auch ich proklamiere lauthals das richtige Glas, oder zumindest ein gutes Glas, wobei das ja schon sehr schwammig formuliert ist. Und ich gebe zu, ja ich oute mich sogar, dass ich ein Köfferchen mit zwei Gabriel Gold Gläsern im Auto habe, und ich mich nicht scheue, diese auch mit ins Restaurant zu nehmen, wenn ich dort kein adäquates Glas vorfinde, in welches ich den auf  meinen snobistischen Gaumen angepassten Wein einschenken könnte. Denn ich bin durchaus der Meinung, dass Wein in ein gutes Glas gehört. Eines, das dem Wein gerecht wird, ihn unterstützt, ihm die Möglichkeit gibt, sich gut entfalten zu können, ohne dass er darin untergeht. Alles klar?

Riedel Gläser (c) Riedel

Ich versuche es zusammenzufassen: Serviert man Ihnen Prosecco, spielt es keine Rolle was für ein Glas. Meiner Meinung nach tut es da auch ein Wasserglas und von mir aus können Sie da auch Eiswürfel reintun. Das kleine Wasserglas reicht auch vollkommen aus, wenn man Ihnen irgendwo im Süden eine Salami, etwas Käse und etwas vom selbstgekelterten Hauswein auf den Tisch stellt. Seien Sie froh, denn so können Sie, während man Ihnen wilde Geschichten erzählt, diese einfache Pretiose nicht gut riechen, schneller runterkippen, haben somit in Bälde einen sitzen und dann schmeckt es auch gleich viel besser. Last but not least, werden Sie, dank dem fehlenden Weinglas einen richtig tollen Abend haben.

Serviert man Ihnen Champagner oder anderen hochwertigen Schaumwein, bestehen Sie in Zukunft auf ein normales Weinglas und schreien laut «Tod dem Cüpli!!». Denn alles ist besser als die Flûte, gesetzten Falls es sieht aus wie ein Weinglas und nicht wie ein Boccalino. Man wird Ihnen dabei auch gleich etwas mehr Fachkompetenz zugestehen als dem Rest der Gäste. So sind Sie sind mit diesem einen, simplen Glaswunsch, im Kreis der Weinexperten angekommen. Herzliche Gratulation dazu.

Wir könnten jetzt auch weiter über Oberflächen, Kamin, Randdurchmesser, Bouquet und sensorische Details diskutieren, alles Dinge, mit denen sich Glasfetischisten gerne auseinandersetzen. Doch lassen wir das. Zwar bin ich der Letzte, der Sie blöd anschaut, wenn Sie vier verschiedene Gläser Ihr Eigen nennen, doch ich selber habe es eben gerne unkompliziert. Ich besitze zwei Gläser, die ich ganz nach Lust, Laune und Wein benütze. Beide sind mundgeblasen und es bereitet mir grosse Freude, daraus zu trinken. Da wäre einmal das Zalto Bordeaux Glas, aus dem ich auch gerne Champagner trinke. Dann das Grassl Cru für Burgunder, Nebbiolo oder Chardonnay und auch hier wieder, je nach Situation, Bubbles.

Neu und sehr gut: Die vier Gläser von Grassl Glass (c) Grassl Glass

Ich kann Ihnen also nur nahelegen, dass Sie sich so bald wie möglich mundgeblasene Gläser zulegen. Sie kosten halt etwas mehr als acht Franken, steigern den Genuss aber überproportional. Fangen Sie mit einem Universalglas an. Zalto Universal, Grassl Liberté, Grassl Cru oder Gabriel Gold, um hier nur einige zu nennen, eignen sich dafür sehr gut. Um das Handling für solche Gläser zu erlernen, müssen Sie übrigens kein Herzchirurg sein. Etwas Respekt und Voraussicht reichen völlig. Sind Sie hingegen ein echter Grobmotoriker, empfehle ich ein maschinengefertigtes Glas von Schott Zwiesel, Gabriel, Riedel oder Spiegelau. Wie dem auch sei. All die genannten Gläser sind heute Spülmaschinenfest. Das hat genau drei Vorteile: Sie haben weniger Bruch als wenn Sie diese von Hand spülen und Sie haben deutlich weniger Probleme im Haushalt, weil Sie Ihre Gläser dann nicht öfter und zärtlicher streicheln als Ihre Frau. Somit haben Sie dann auch mehr Zeit für die wirklich wichtigen Sachen im Leben: Beobachten wie sich das Glas bewegt.

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