Vorurteile und positive Überraschungen. ELECTUS 2010/2011 sowie ECLAT 2014.

ELECTUS 2011, Valais Mundi
ELECTUS 2010 – DER ANFANG EINES NEUEN SCHWEIZER WEINZEITALTERS. So steht es auf der Web-Site von Valais Mundi. Und es wurde viel geschrieben in der Presse, als der Wein 2014 lanciert wurde. Allerdings drehten sich die meisten Artikel mehr um die monetäre Seite dieses Weines, dessen vermeintlichen Vermarktungsziele sowie die verschiedensten Blindproben, bei welchen der Wein parallel zu Top-Etiketten dieser Welt verkostet und meist auf den vorderen Rängen platziert wurde. „Ja, er ist sehr, sehr gut – aber zu teuer.“ Oder „Man merkt gar nicht, dass es ein Schweizer Wein ist.“ Oder „Darf ein Schweizer Wein so viel kosten?“ Etc.
Wir alle wissen: die Frage nach dem Preis-/Leistungsverhältnis stellen wir uns bei den 1er Crus aus dem Bordeaux oder bei anderen Top-Weinen dieser Welt eher selten. Solange die Tropfen 300-600 Franken pro Flasche kosten, scheint es viele Weinfreaks (die sich das leisten können) nicht zu interessieren. Klar, die Preis-Exzesse im Bordeaux bei den Jahrgängen 2009 und 2010 wurden auf breiter Front kritisiert. Die Weine stiegen im Windschatten eines boomenden China in Dimensionen von weit über 1000 Franken pro Flasche und dies, wohl bemerkt, bei einer Jahresproduktion von meist über 200.000 Flaschen…
Doch nun, da die Preise dieser Gewächse seit einigen Jahren wieder in „normale Sphären“ sinken, scheint allmählich wieder Ruhe einzukehren. Ich frage mich allerdings nach wie vor: sind 730 Franken für einen Wein mit 98 Parker-Punkten „normal“? (Bsp. Ch. Lafite Rothschild 2010, aktuell günstigster Preis in der Schweiz). Warum kostet denn dieser wirklich grossartige Ch. Montrose 2010 mit 100/100 Parker-Punkten „nur“ 220 Franken? Und warum kann ich den aktuell antrinkbaren, ebenso grossartigen Ch. Pichon Longueville Baron 2000 heute noch für „nur“ 180 Franken kaufen?
Ich denke, jeder soll und kann für sich ganz alleine entscheiden, wie viel er für eine Flasche Wein und entsprechende Punkte-Wertungen ausgeben kann resp. will. Und jeder kann für sich entscheiden, wann er einen Wein trinken will (es gibt aktuell übrigens nichts Anstrengenderes als einen grossen 2010er aus Bordeaux verkosten zu müssen oder dürfen?).
Doch zurück zum ELECTUS: bei allen von mir gelesenen Berichten über diesen Wein blieb – zumindest aus meiner subjektiven Perspektive – die Seele dieses Weins auf der Strecke.
So stellte ich mir heute also weniger die Frage nach dem Preis-/Leistungsverhältnis als vielmehr die Frage, ob ein Walliser Top-Wein denn wirklich so top sein kann. Was kann man von einem solchen „Projekt“ erwarten? “Ein neues Schweizer Weinzeitalter“, was heisst das? Ist es eine reine Marketing-Idee? Ist der Wein wirklich besser als die vielen anderen, ausgezeichneten Weine der Schweiz? Geht es noch besser? Und: heisst denn besser einfach kräftiger, fetter? Oder sind im Wallis auch frische und elegante Weine möglich?
Entsprechend gespannt ging ich heute Morgen an die offene Verkostung bei Riegger. Nach unzähligen Erfahrungen mit kräftigen, reifen, aber auch entsprechend breiten und manchmal einfach nur plumpen Weinen aus dem Wallis erwartete ich vom ELECTUS einen sicherlich perfekt vinifizierten Wein mit viel Kraft. Doch gleichzeitig erwartete ich auch ein Fruchtmonster, ein hochkonzentriertes Produkt mit viel Muskeln und wenig Eleganz.
Was heute allerdings ins Glas kam, entsprach so ganz und gar nicht dem, was ich mir unter einem typischen Wein aus dem Wallis vorgestellt habe. Meine Eindrücke (alle drei Weine konnte ich während ca. 1.5h mehrfach und in Ruhe verkosten):
2010 / 2011 ELECTUS, Valais Mundi
2010, ELECTUS, Valais Mundi, Wallis. Eine Komposition aus Humagne Rouge (24%), Cornalin (22%) Diolinoir (19%), Merlot (10%) und Cabernet Sauvignon (25%).
Mittleres Bordeauxrot, schöner Glanz, leicht aufgehellter Rand, erste Reifetöne erkennbar. Tiefe, würzige Nase, erinnert etwas an einen St. Julien am Anfang seiner Trinkreife. Sehr intensiver Duft mit Noten von Leder, Teer, Graphit, dazu Brombeeren, rote Kirschen sowie Eukalyptus und getrocknete Kräuter (dieser wunderbare Oregano aus Sizilien). Sehr gute Komplexität und bereits erstaunlich offen. Am Gaumen kraftvoller, straffer und sehr gradliniger Auftakt (weniger an Bordeaux als vielmehr an einen Super Tuscan erinnernd). Da sind wieder diese würzigen Noten sowie eine frische, saftige, eher rotbeerige Frucht. Der Wein ist absolut kein Blockbuster sondern von mittelkräftiger Statur mit sehr feinen und reifen Tanninen sowie einer schönen Säure. Das ist nicht Fett, da ist keinerlei Alkoholüberhang festzustellen sondern einfach nur eine ausgezeichnete Harmonie bei gleichzeitig sehr guter Komplexität. Ein Wein der entgegen meiner Erwartung nicht einfach nur top vinifiziert ist und ohne Seele daherkommt sondern durchaus mit einer selbstbewussten Eigenständigkeit die positiven Seiten des Wallis erkennen lässt. Gefällt mir ausgezeichnet. Jetzt bis 2025+, 18.5 vvPunkte, (93/100). Jetzt schon zugänglich, bis 2025 geniessen.
2011, ELECTUS, Valais Mundi, Wallis. Eine Komposition aus Humagne Rouge (20%), Cornalin (22%) Diolinoir (20%), Syrah (20%) Cab Franc (2%), Cab Sauvignon (4%) und Merlot (12%).
Mittleres Bordeauxrot, leicht aufgehellter Rand, schöner Glanz. Die Nase anfangs noch etwas verhalten, sehr tief, nobel und mit deutlich mehr dunkelbeeriger Frucht als beim ELECTUS 2010. Da sind schwarze Kirschen, Brombeeren, Heidelbeeren und auch ein Hauch Cassis. Mit etwas mehr Luft steigt die Komplexität deutlich an und es zeigen sich zusätzlich Aromen von roten Johannisbeeren Lakritze, wieder Graphit sowie eine feine Würze. Am Gaumen saftiger, straffer Auftakt, ein Konzentrat an knackiger Beerenfrucht, ungemein frisch mit perfekt eingebundenem Holz und einer anregenden Würze. Die Gerbstoffe sind noch sehr präsent aber reif und feinkörnig, die Frucht wird umrahmt von einer frischen Säure. Der Wein hat eine hervorragende Struktur und wirkt trotzdem leichtfüssig ja fast tänzerisch mit einer ausgezeichneten Balance. Im Abgang mit sehr guter Länge. Braucht noch etwas Zeit und hat deutlich mehr Reserven als der 2010er. 2018-2035+, 19 vvPunkte, (96/100)
Schliesslich konnte ich die neuste Kreation des Valais Mundi-Teams verkosten. Ein Weisswein aus dem Jahr 2014, der noch ganz ohne Etikette dafür mit umso mehr Inhalt aufspielte.
2014, ECLAT, Valais Mundi
2014, ECLAT, Valais Mundi, Wallis. 55% Petit Arvine, 45% Heida. Klares, helles Gelb, leicht grünliche Reflexe. Direkt nach dem Einschenken (und sehr kühl) eine äusserst fruchtbetonte, ja fast etwas eindimensionale Nase. Doch dann, mit Luft und etwas Wärme verwandelt sich der Wein in einen richtigen Schnüffel-Wein mit sehr guter Komplexität: da ist einerseits eine wunderbare Floralität (weisse Akazien-Blüten), da sind präzise Fruchtaromen nach Ananas, rosa Grapefruit sowie Limetten und da ist eine feine Rauchnote (ein ausgekühlter Kamin) kombiniert mit einer faszinierenden Mineralität. Am Gaumen wieder fruchtbetont im Auftakt, sehr kraftvoll und äusserst saftig. Extrem konzentrierte Zitrus-Frucht, Ananas sowie feine Noten von Grüntee. Ein Kraftbündel das tanzt. Das Holz (es werden speziell stark getoastete Fässer verwendet, die sonst im Cognac eingesetzt werden und welche viel Gerbstoff abgeben) ist perfekt eingebunden, praktisch nicht wahrnehmbar, dazu diese faszinierende Säure und eine grossartige Struktur. Dieser Wein ist ein Hit, vor allem am Gaumen, sehr komplex und mit einer ausgezeichneten Harmonie. Im Abgang mit sehr guter Länge, endet frisch auf Zitrusfrüchte. Dieser äusserst elegante Wein kann in jeder Degustation mit einem sehr guten Puligny-Montrachet 1er Cru mithalten. Nicht weil er wie ein Puligny schmeckt aber weil er stilistisch genauso wunderbar präzis ist und Kraft mit viel Finesse vereint. Ein ausgezeichneter Wein der zeigt, dass im Wallis nicht nur kräftig-komplexe sondern auch frische und elegante Weine produziert werden können. Jetzt bis 2025, 19 vvPunkte, (94/100)
Wie ist so etwas möglich? Vielleicht, weil ein Team von Profis mit viel Enthusiasmus und Passion an die Arbeit geht. Um nur zwei Personen aus diesem Team zu nennen: die charmante Electus-Projektverantwortliche Johanna Dayer (auf dem Weg zum Master of Wine) verfügt über ein beeindruckendes Know-how in sämtlichen Bereichen des Weins und Samuel Panchard, verantwortlicher Önologe, kennt die Charakteristiken jeder einzelner Parzelle wie seine eigene Hostentasche.
Das Team selektioniert die besten Lagen quer durchs ganze Wallis. Die Weine werden spontan vergoren und separat vinifiziert. Bevor die eigentliche Assemblage entsteht werden die einzelnen Grundweine kritisch verkostet; nur die Besten schaffen es in die finale Assemblage welche dann in ca. 80% neuen Holzfässern ausgebaut wird.
Als weiteres nicht ganz unwichtiges Detail bleibt anzumerken, dass die ELECTUS-Weine erst dann auf den Markt kommen, wenn sie „einigermassen“ zugänglich sind. Das heisst: man kann den ELECTUS kaufen und sofort mit viel Genuss trinken. Eine Stunde Dekantierzeit und grosse Gläser schaden dabei sicherlich nicht. Und sollten trotzdem ein paar Flaschen im Keller liegen bleiben, gibt es in 10 Jahren ganz sicher die eine oder andere positive Überraschung. Sei es mit oder vielleicht dann doch lieber ohne einer müden Flasche Sassicaia daneben…

 

Die beiden ELECTUS-Weine sind bei Riegger für CHF 190.— (2010er) resp. 150.—(2011er) erhältlich. Der weisse ECLAT 2014 dürfte demnächst ebenfalls bei Riegger verfügbar sein.
Impressum: Adrian van Velsen, Alte Spinnerei 1, CH-5210 Windisch, Telefon +41 44 350 01 44. Adrian@vvWine.ch
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  1. […] ist es her, als ich die Aushängeschilder von Provins resp. Valais Mundi mit den klingenden Namen Electus und Eclat zum ersten Mal verkosten durfte. Ich war beeindruckt von der Qualität der beiden Rotweine mit Jahrgang 2010 und 2011 sowie […]

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