Meinung eines Weinkritiker-Kritikers.

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Die Master Class mit der Speerspitze des Robert Parker Verlags für DACH, Stephan Reinhardt, fand während des Anlasses «Matter of Taste» im Dolder statt.

Ich wollte da unbedingt hin, denn nachdem ich die ersten Bewertungen einiger Weine gelesen habe, hatte ich ein, zwei Fragezeichen, welche ich hoffte, an dieser Master Class klären zu können. Denn die Punktevergabe im Vorfeld des MOT Events war doch «spannend», schliesslich läuft man einem 93 Punkte Gamaret doch nicht jeden Tag über den Weg. Aber das war noch nicht alles. Jeder kennt die 96 Punkte, die es für den roten Donatsch gab. Aber keiner weiss von den 95 Punkten für einen Savagnin Blanc aus Yvorne vom Château Maison Blanche. Und auch die 93 Punkte des Evergreen-Chasselas «Medinette» fallen bei vielen Weinfreunden zwischen Stuhl und Bank. Auf den Siegertreppchen steht ein Wein von Marie-Thérèse Chappaz, der Grain Ermitage 2019, mit sensationellen 98 Punkten. Glückwunsch!

So weit so gut. Und zurück zum Thema. Titel der Masterclass war «My Switzerland» by Stephan Reinhardt und ja, sie war in Englisch angesagt. Das mit dem Englisch wurde auch so durchgezogen, obwohl der eine oder andere anwesende Winzer seine liebe Mühe damit hatte, und ich hätte schwören können, dass von den Anwesenden alles Deutsch gesprochen hätten – alle. Aber egal, der Unterhaltung war es dienlich. Zurück zu den Facts. Wie sich herausstellte war das nicht etwa ein Abbild des Schweizer Weinbaus, sondern eben Stephans ganz persönliche Liste von Weinen, welche ihn unter all den eingesendeten Weinen beeindruckt haben. Also kein Mainstream und die «grossen» Namen glänzten vollkommen mit Abwesenheit. Anstelle der Platzhirsche stand die junge Garde von Schweizer Winzern im Vordergrund.

Masterclass «My Switzerland by Stephan Reinhardt» (c) Philipp Uehlinger

Sie wissen, ich bin kein «Weinkritiker». Wenn schon, bin ich eher ein «Weinkritiker-Kritiker». Aber ich hatte in meinem Leben ja schon das eine oder andere Glas in der Hand, und dies teils unter Supervision von Weinkritikern. Da ist also was hängen geblieben (nicht viel, aber öppis scho). Da standen also nun acht vom Master Reinhardt ausgesuchte Weine im Glas. Wir erinnern uns: «die Zukunft des Schweizer Weinbaus» und ich staunte schon beim ersten nicht schlecht. Man hätte das sogar im Stockdunkeln erkannt, dass es sich bei diesem Wein um einen «Orange/Naturwein» handelt. Im Dunkeln darum, weil man es einfach roch. Mein erster Eindruck war «feuchte Socken in alten Turnschuhen im Sommer». Auch farblich war der Wein interessant: Von Weitem hätte höchstens ein Halbblinder daran gezweifelt hier, nicht ganz scharf zu sehen, so trüb war die Geschichte. Und falls hier Anne Claire Schott mitliest: Ja, ich verstehe den Wein nicht. Das ist frisch und frech, staubtrocken und ja «isch ä lässigi Sach das». Was ich aber auch nicht verstehe ist, dass dieser Wein 91 Punkte erhält. Ich kann mir vorstellen, dass der Stinker am zweiten Tag verschwindet, aber IMHO kommt man da doch nicht auf mehr als 85/86 Punkte. Damit möchte ich den Wein nicht schlecht machen, denn das ist er nicht, aber im Vergleich mit anderen Weinen die gleich hoch bewertet werden, hinkt das einfach hinterher, denn beim Reinhardt haben absolut seriöse, sauber und sehr gut gemachte Weine weniger Punkte erhalten. Das prominenteste Beispiel dürfte dem Thalmann sein Kirschberg sein. Von Vaterlaus noch mit 96 Punkten und somit als bester Wein der Schweiz geadelt, (mein Chefe Adrian verteilt 93+) versenkt ihn den Stephan Reinhardt mit 91 Punkten und stellt ihn somit auf dieselbe Stufe wie diesen gemischten Satz Naturwein von Anne Claire Schott. Ich wiederhole mich, irgendwas verstehe ich nicht – vermutlich ist das ein grundsätzliches Problem von Weinbanausen wie ich einer bin.  

Weiter geht es mit einem Wein der Jungwinzerin von der O-Faya Farm aus 2021. Tolle Frau, spannender Wein – unfiltriert, apfelig und 93-94 Punkte. Alter Falter, ich freue mich sehr für die junge Dame, aber verstehen kann ich das wiederum nicht. Das man sowas mag kann ich mehr als nur verstehen, denn das ist wirklich (fast) auf meiner Linie. ABER 94 Punkte?

Dann war da ein Heida von Chanton ohne Punkte. Warum eigentlich? Wissen wir nicht. Heida halt. Weiter geht es mit einem Chardonnay von Zündel – Velabona 2019 mit 94 Punkten geadelt. Ein warmer Chardonnay, ich fand das fast ein wenig hitzig. Ein schöner Chardo, aber 94 kann ich nicht ganz nachvollziehen, denn dazu fehlt mir die Balance und das Holz ist mir persönlich zu dominant.

2020 Fröhlich Pinot Noir mit 92-93 kann man so stehen lassen. Auch Javet & Javet Pinot sans sulfite, spannend elegant mit 93 – d’accord. 2019 Syrah de Fully von Dorsaz mit sagenhaften 95 Punkten. Ich hadere ein wenig, aber von mir aus sind das dann eben 95 «Potential-Punkte» kann sein, dass er das bringt, dafür fehlt mir die Erfahrung.

Zum Abschluss gab es den Blanc de Noir von Litwan mit 92 Punkten. Ich liebe die Weine von Tom durchs Band. 3-5 Jahre lässt er seinen BdN auf der Hefe liegen. Aber das ist immer noch super reduktiv und «apfelig». Und ja, ich bin etwas Champagner-affin und vielleicht auch etwas voreingenommen was das Thema Schaumwein betrifft. Aber ich hatte das vor ein paar Wochen im Glas und wir – zwei wahrlich durstige Mannen – schafften nicht mehr als je ein Glas von… und ja, it is a matter of taste.

Fazit: Die Auswahl der Weine für solch einen Anlass war IMHO etwas schwierig. Hat es mir geholfen? Jein. Punkte trinken funktioniert nicht und ich stelle die steile These, dass das Modell am Aussterben ist. Respektive es nur Sinn macht, wenn man dazu mehr als zwei Sätze schreibt, wie hier der Chef das so vorbildlich macht.

Oder: Man erfindet «Natural-Wine-Points», sogenannte NWP’s. In dem Kontext kann man das dann eventuell besser einordnen. Aber Wein bleibt eigentlich Wein – nes pas?

Insofern war diese Master Class hilfreich und ich kann den Herrn Reinhardt jetzt besser einschätzen. Weniger ist mehr, if you know what I mean.

2020, Yvorne Château Maison Blanche Savagnin Blanc (c) vvWine.ch

Kürzlich haben wir einen der Weine nochmals probiert. Es war der Savagnin vom Château Maison Blanche. Von Reinhardt mit 95 Punkten geadelt können Adrian und ich dies nur ehrfürchtig bestätigen: Sehr, sehr geiles Zeugs!

2020, Yvorne Château Maison Blanche Savagnin Blanc, Schweiz, Waadt, Yvorne (100% Savagnin, 13.5% Alkohol). Kräftiges Goldgelb. In der Nase intensiv duftend, zeigt exotische Früchte, Mango, Birne, Aprikose, darunter eine faszinierende Mineralik. Im Gaumen rund und mit ordentlich Kraft, der Wein zeigt Opulenz, verfügt über reichlich saftige Frucht und eine sehr gute Säurestruktur, trotz der Fülle bleibt er elegant und hallt im Abgang sehr lange nach, hinterlässt Mangoaromen. Das ist grosses Weissweinkino. 94 vvPunkte

NB: Die Kolumne gibt die Meinung des Autors Philipp Uehlinger wieder und muss sich nicht mit der Meinung der vvWine Redaktion zu einem bestimmten Thema decken.

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