Die DNA von Champagne Henri Giraud: Aÿ Grand Cru, Pinot Noir und Chêne d’Argonne.

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Für Weinliebhaber ist es eine Normalität geworden darauf zu achten, auf welchem Untergrund die Reben für einen spezifischen Wein gewachsen sind. Bei Fässern dagegen spricht man meist nur über den Tonnellier: François Frères, Seguin Moreau und wie sie alle heissen.

Doch warum soll der Boden keinen Einfluss auf die Eiche haben, die auf ihm wächst? Warum soll man bei der Eiche für Barrique-Fässer nicht auch aufs Terroir schauen?

Henri Giraud MV10 verschmilzt mit der Chêne Giraud (c) vvWine.ch

Der Terroir-Gedanke gilt auch für Eichenbäume.
Champagne Henri Giraud geht bewusst einen eigenen Weg. Claude Giraud leitet bereits in der zwölften Generation die Geschicke des Weinhauses Champagne Henri Giraud. Claude übernahm 1990 die Verantwortung über den in Aÿ ansässigen Familienbetrieb und führte diesen im Laufe der letzten Jahre an die qualitative Spitze.

50 cm Humus, darunter 200 Meter Kreide: grossartiges Champagner-Terroir (c) vvWine.ch

Aÿ ist quasi das Herz der Champagne, und Pinot Noir aus den Grand Cru Lagen um Aÿ der DNA-Code für die Schaumweine von Giraud. Auf einer mehreren hundert Meter tiefen Kalkschicht wachsen die Pinot- und Chardonnay-Reben und die daraus gewonnenen Grundweine spiegeln mit ihrer Mineralik das grossartige Terroir wieder.

Claude Giraud und sein Team sind aber gleich doppelte Terroir-Fanatiker. Sie beziehen nicht nur die Böden, Lagen und das Mikroklima der Reben als wichtiges Element in ihre Weinbereitungs-Überlegungen mit ein, sondern setzen auch beim Eichenholz, in welchem die Weine dereinst ausgebaut werden, voll auf Terroir.

Eine fünfjährige Eiche im Wald um Argonne muss kämpfen (c) vvWine.ch

Die Eichen für die Barriques werden im Wald um Argonne aus sechs verschiedenen Parzellen selektioniert. Jeder Baum wird individuell ausgewählt, markiert, mit einem Tracking-Code versehen. Im späteren Verarbeitungsprozess weiss Giraud dann, aus welcher Parzelle der Baum respektive das Holz für die Fässer stammt, ob die Fassdauben vom oberen, mittleren oder unteren Teil des Stammes kommen und neuerdings sogar, ob sie von der Nord- oder Südseite des Baumes sind. Parzelle, Baumlage, Alter, Fälldatum, Lagerdauer… alles wird registriert und später mit den passenden Weinen kombiniert.

Zudem setzt sich Claude für die Erhaltung der Fauna des Argonne-Waldes ein. Warum? Von 1000 gesetzten Eichen überleben 10%. Eine Eiche wird rund 200 Jahre alt, bis sie schliesslich gefällt und zu zwei bis maximal fünf Barrique-Fässern verarbeitet werden kann. Eine lange Zeit und eine Zeit, die Spuren hinterlassen kann.

Verwitterte Schützengräben im Wald von Argonne zeugen vom 1. Weltkrieg (c) vvWine.ch

Zeitzeugen und Mahnmale.
Wir stehen in einer Waldparzelle in Argonne. Giraud forstet hier mit Unterstützung des Office National des Forêts Eichenwälder auf. Argonne ist ein Ort mit einer markanten Geschichte.

Die Maas-Argonnen-Offensive war eine wichtige Schlacht im Ersten Weltkrieg. Zwischen dem 26. September und dem 11. November 1918 erzielten hier die US-amerikanischen Streitkräfte ihren grössten Erfolg gegen die Deutschen.

Die Wälder von Argonne waren praktisch die einzige Möglichkeit für die Truppen, sich zu verstecken. Noch heute findet man in den Eichenbäumen Projektile, welche von diesem Weltkrieg zeugen. Inmitten der Giraud-Wälder sieht man zudem viele verwitterte Schützengräben. So weit weg und dennoch so nah. Stell dir vor es ist Krieg und niemand geht hin.

Die Chêne Giraud verschmilzt mit Champagne Henri Giraud MV10 (c) vvWine.ch

Die Chêne Giraud: eine 350jährige Eiche.
Den Apéro nehmen wir unter der „Chêne Giraud“, eine eindrückliche, rund 350 Jahre alte Eiche, die etwas unglaublich Mystisches, Starkes und Erhabenes ausstrahlt. Lediglich rund 1.5 Meter tief aber ungefähr gleich breit wie die Eiche hoch ist, verteilen sich die Wurzeln.

Wir verkosten den Champagne Henri Giraud MV10: Die Nase zeigt eine herrliche Komplexität mit dezenter Holzaromatik, Nüssen, Blumenblüten, Orangen, würzige Noten sowie einer markanten Mineralik. Am Gaumen straff und doch sehr vollmundig, viel Schmelz, strukturiert, dicht und hervorragend ausgewogen, keinerlei Holzdominanz, auch hier mit kalkig-steiniger Note. Im Abgang von sehr schöner Länge, hallt fast eine Minute nach. Ein grossartiger Schaumwein, jetzt bis 2030 geniessen. 19 vvPunkte (94/100).

Ein solch edles Getränk wie den MV10 von Champagne Henri Giraud unter einem Eichenbaum zu geniessen, der rund vier mal so alt ist wie ich selbst einmal werden kann und der die wilde Schlacht von Argonne und noch viel mehr überstanden hat; ein sehr berührender Moment, der heute noch Gänsehaut auslöst, wenn ich daran zurückdenke.

Hat schon viel erlebt: „Chêne Giraut“ (c) vvWine.ch

Tonnellerie Artisanale de Champagne.
Für die Verarbeitung des Eichenholzes arbeitet Giraud mit verschiedenen Tonnellerien zusammen. Eine davon, die Tonnellerie Artisanale de Champagne von Jérôme Viard, durften wir besuchen. Es ist eindrücklich wie minutiös das Braum-Tracking auch hier weitergezogen wird. Jeder Stapel Holz ist codiert, Giraud und Jérôme wissen genau, von welchem Baum und Teil des Baumes das Holz fürs nächste Fass stammt.

Minutiöses Tracking (c) vvWine.ch

Die Hölzer werden während rund drei Jahren getrocknet und dann in alter Handwerkskunst weiterverarbeitet. Die Werkstatt macht für einen Aussenstehenden einen äusserst chaotischen Eindruck, doch sie scheint dennoch effizient zu funktionieren.

Das Geheimnis der Chêne d’Argonne erklärt der Tonnellier ganz simpel: die Eichen wachsen auf kalkhaltigen Böden. die Wurzeln müssen entsprechend kämpfen, um an Nährstoffe zu gelangen und darum wächst ein sehr dichtes, hartes Eichenholz heran, das weniger Poren aufweist als andere Eichenhölzer und entsprechend weniger Gerbstoff an die Weine abgeben kann. Die harten Eichen von Argonne erdrücken das zarte Geschöpf Champagner nicht, sie kleiden dieses lediglich nobel ein.

So fern und doch so nah: ein Projektil aus dem 1. Weltkrieg (c) vvWine.ch

Als wir ein Projektil in den Händen halten, welches in einem geschwärzten Teil eines Eichenstammes steckte, der zu Fassdauben hätte verarbeitet werden sollen, läuft es mir noch einmal kalt den Rücken hinunter. Dieses Geschoss hat im Ersten Weltkrieg vielleicht Menschen getötet. Heute verhindert es, dass dieses mittlerweile um 30 cm weiter gewachsene Holzstück für den Fassbau gebraucht werden kann.

Der Besuch im Keller. 

Sébastien Legolvet, der Kellermeister von Henri Giraud, führt uns durch die Keller des Familienweingutes. Wir verkosten zusammen mit ihm die Grundweine und erschmecken, wie die unterschiedlichen Gefässe wie Eichenfässer oder Amphoren den Stil des Weines beeinflussen. Identische Trauben, eine völlig andere Aromatik.
Jedes Fass ist codiert (c) vvWine.ch
Auch im Keller ist alles minutiös codiert. Auf jedem Fass ist die Herkunft der Eiche notiert. Sébastien weiss schon beim Toasting der Eichenfässer, welche Weine er in welchem Fass ausbauen will. Er kennt die feinen Unterschiede der Hölzer, weiss welches Baum-Terroir zu welchem Wein-Terroir passt. doch ein Patentrezept gibt es nicht. Jedes Jahr ist wieder anders, es ist ein Arbeiten Hand in Hand mit der Natur.
Barrique-Fässer von Champagne Henri Giraud (c) vvWine.ch
Auch in Terracotta-Eiern wird ein Teil des Weines ausgebaut (c) vvWine.ch
Wir verkosten im Keller einen Blanc de Blancs aus dem Spitzenjahrgang 2002. Es ist ein faszinierender Wein mit unglaublich viel Tiefgang und Spannung; definitiv einer der besten Champagner, die ich bisher verkosten konnte. Leider ist er rar, denn nur wenige tausend Flaschen werden davon produziert, und das nur in guten Jahren, versteht sich.
Sensationelle Rarität: 2002 Blanc de Blancs von Henri Giraud (c) vvWine.ch
Champagner und Häppchen.
Später am Abend serviert uns das Team von Henri Giraud eine mehrgängige Mariage aus lokalen Spezialitäten und verschiedenen Champagnern des Hauses. Vom Basis-Wein Esprit über den Code Noir bis hin zum MV Rosé harmonieren die Weine hervorragend zu den Häppchen.
Mein persönlicher Favorit ist der MV Rosé, ein Schaumwein, der in der Nase an einen Chambolle-Musigny erinnert: rote Johannisbeeren, Kirschen, florale Noten, Leder, Pilze, ein faszinierendes Duftbild. Am Gaumen dicht, vollmundig, cremig und dennoch ungemein frisch, grossartige Struktur, sensationell langer, nussiger Abgang. Ein Gänsehaut-Champagner. 19 vvPunkte 95/100.
Table Experience Henri Giraud für Adrian van Velsen von vvWine (c) vvWine.ch
Ein erlebnisreicher Ausflug geht zu Ende. Was bleibt ist die Faszination für Schaumwein, die Magie des Pinot Noir, das Terroir der Reben und das Terroir der Eichenbäume. Champagne Henri Giraud ist ein Vorzeigeweingut, geführt von Qualitätsfanatikern und getrieben von einer klar definierten, dreifaltigen DNA: 1. Aÿ Grand Cru (die Lage). 2. Pinot Noir (die Traubensorte) und 3. Chêne d’Ârgonne (der Ausbau im Eichenholz aus Argonne).
Ich kann jedem Leser nur empfehlen, dieser DNA mit Weinen von Champagne Henri Giraud auf die Spur zu gehen. Es ist kein günstiges Experiment, aber es lohnt sich. Die Weine sind in der Schweiz bei Le Millesime erhältlich. In Deutschland führen diverse Händler die Produkte von Henri Giraud.
Nachfolgend noch ein paar weitere Foto-Impressionen dieser eindrücklichen Reise.
200jährige Eiche im Wald um Argonne (c) vvWine.ch
Karges Terroir, hartes Holz (c) vvWine.ch

 

Vorne eine fünfjährige Eiche, hinten die 350jährige Chêne Giraud (c) vvWine.ch
Sébastien Legolvet, Kellermeister von Champagne Henri Giraud (c) vvWine.ch
Champagner-Lagerung auf der Hefe in der Flasche (c) vvWine.ch
Mystische Stimmung im Raritätenkeller: Champagne Henri Giraud (c) vvWine.ch

 

Kreide, der Boden der Champagne (c) vvWine.ch
Vielseitig einsetzbar, Champagner als Essbegleiter (c) vvWine.ch

 

Vielseitig einsetzbar, Champagner als Essbegleiter (c) vvWine.ch

 

Vielseitig einsetzbar, Champagner als Essbegleiter (c) vvWine.ch
Vielseitig einsetzbar, Champagner als Essbegleiter (c) vvWine.ch
Kalkböden führen zu sehr hartem Eichenholz (c) vvWine.ch
Jérôme Viard von der Tonnellerie Artisanale de Champagne (c) vvWine.ch
Das Eichenholz wird vor der Verarbeitung rund drei Jahre lang im Freien gelagert (c) vvWine.ch

 

Organisiertes Chaos (c) vvWine.ch
Jérôme Viard zeigt uns die Spuren des Ersten Weltkriegs im Eichenholz (c) vvWine.ch
Impressum: Adrian van Velsen, Alte Spinnerei 1, CH-5210 Windisch, Telefon +41 44 350 01 44. Adrian@vvWine.ch
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  1. […] wie Larmandier-Bernier, Jacquesson, Egly-Ouriet, Henri Giraud, Bérêche et Fils, Vouette & Sorbée, Pascal Doquet, Eric Rodez und, und, und verstecken sich […]

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