Amber Revolution by Gravner.

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Man kann mir sicher nicht vorwerfen, ein militanter Orangewine-Fan zu sein. Zu oft habe ich fehlerhafte Naturweine im Glas gehabt, die abgesehen von meist recht kreativen Etiketten wenig Unterhaltungswert bieten. Es gibt aber auch die anderen Orange-Winzer, so zum Beispiel Joško Gravner, dessen Weine ich vor einigen Jahren bei einer Verkostung von Caratello kennengelernt habe und deren Eigenständigkeit und Qualität mich sofort faszinierten.

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Gravner hat sein ganzes Leben in Oslavia, einem kleinen Weiler auf den Hügeln von Collio verbracht. Oslavia gehörte jahrelang zum Habsburgerreich, bis es nach dem Ersten Weltkrieg von Italien gewaltsam übernommen wurde. Diverse Kriegsdenkmäler zeugen heute von den verheerenden Schlachten, die damals in den Hügeln rund um Gorizia stattgefunden haben. Heute ist Oslavia ein kultureller Schmelztiegel wo insgesamt vier Sprachen gesprochen werden, wenn auch viele Einheimische Slowenisch bevorzugen. Und: Oslavia ist das «Dorf der Ribolla-Traube», eine ursprünglich als Tafeltraube genutzte, autochthone Sorte, die spät reift und schon den Römern unter dem Namen Evola bekannt gewessen sein soll. Dennoch kultivieren die meisten Friuli-Produzenten die Sorten Chardonnay und Sauvignon Blanc. Gravner geht – zusammen mit einer Gruppe anderer Produzenten – den entgegengesetzten Weg. Er ist dabei, alle nicht-einheimischen Rebsorten aus seinen Weinbergen zu entfernen, um nur noch zwei Traubensorten anzubauen: Ribolla Gialla für seine Weissweine und Pignollo für seinen einzigen Rotwein namens Rosso Breg.

So liess ich es mir nicht entgehen, die Einladung für eine Pressereise anzunehmen, um dieses Weingut in der Region Friuli-Venezia Giulia im Nordosten Italiens besuchen zu können. Gravner zählt zu den einflussreichsten Winzern der Welt und wird insbesondere für seine Vorreiterrolle in der modernen Orangewein-Bewegung geschätzt. Er stellt einzigartige Weine mit unverwechselbarem Charakter her, die weltweit Beachtung, wenn auch nicht bei allen Anklang finden.

Mateja Gravner, die Tochter von Joško Gravner und Kommunikationsdirektorin des Weinguts, zeigte uns die Weinberge, die Weine und natürlich den beeindruckenden Amphorenkeller, in dem rund 40 Tonkrüge unter der steinigen Erde liegen und nur ihre runde Halskrause aus dem Boden hervorragen lassen.

Gravner-Reben auf der italienischen Seite der Grenze (c) vvWine.ch

Biodynamie als Schlüssel.

Das Gravner-Anwesen umfasst 33 Hektar wovon deren 15 Hektar mit Reben bestockt sind, die auf beiden Seiten der Italienisch-Slovenischen Grenze liegen und biodynamisch bewirtschaftet werden. Der Weinbergt Runk wurde 1901 gepflanzt und liegt in Italien, die Lagen Hum und Dedno dagegen befinden sich bereits auf der slowenischen Seite. Die Reben wurzeln in Sandstein-Mergel-Böden, teils auf pittoresken Terrassen. Es sprüht in diesen Rebbergen vor Energie und Leben, es ist ein beeindruckendes Biodiversitätsparadies, in dem Pflanzen, Insekten, Vögel und Bäume in vollkommener Harmonie miteinander existieren.

Historisch wurden die Weine der Region in grossen Holzfässern vergoren und gereift. Gravner jedoch strebte stets nach Modernisierung und begann mit Experimenten in Betonfässern. Unzufrieden mit den Ergebnissen, wechselte er zu temperaturgesteuerten Edelstahltanks. Anfang der 1980er Jahre ging er dann zu Barriques über und war der erste Winzer der Region, der den Wein in Holz gären und anschliessend in Edelstahl reifen liess.

Zu dieser Zeit waren auch die Weine aus Kalifornien hip und Gravner wollte unbedingt verstehen, was die da drüben in der Neuen Welt besser machen als sie in der Alten Welt. Er reiste in die USA und kam nach einem Besuch im kalifornischen Napa Valley im Jahr 1987 mehr schockiert als inspiriert zurück. Was Gravner im Nappa Valley sah war nichts anderes als eine kulturelle Verarmung: Industriell hergestellte Weine, ohne Leben, ohne Charakter. Er kam zum Schluss, dass es höchste Zeit war, vollständig in die entgegengesetzte Richtung zu denken und zu den traditionellen Weinherstellungsmethoden zurückzukehren.

Qvevris aus Georgien.

Zwischen 1997 und 2000 traf Joško in seiner Heimat einige Amphorenhersteller aus Georgien, die ihn dabei unterstützten, im Jahr 2000 in Georgien elf Qvevris zu kaufen. Leider kamen diese zu spät und zum Grossteil komplett zerbrochen in Oslavia an. So war es denn nicht wie geplant der 2000er sondern erst der 2001er Jahrgang, den Gravner vollständig in Amphoren vergären konnte.

Mateja Gravner mit den im Boden vergrabene Tonamphoren, auch Qvevri genannt (c) vvWine.ch

Seither sind über 20 Jahre vergangen und Gravner hat die Vinifikation in Amphoren perfektioniert. Seine Ribolla Gialla-Weine kommen erst rund sieben Jahre nach der Ernte auf den Markt und brechen in Qualität und Stil mit allem, was man typischerweise als Wein bezeichnet. Amberfarben und aromatisch genauso eigenständig wie eigenwillig werden die Weine von den Gravners nicht in irgendeinem «normalen Weinglas» serviert, sondern in einem 2011 kreierten «Gravner-Glas». Es ist ein in seiner Form von georgischen Tonschalen inspiriertes, kachelartiges und stilloses Glas mit runden Einbuchtungen für die Finger, welches von einem Glasbläser in Norditalien produziert wird. Ich gebe zu, dass das Verkosten aus diesen «Weintassen ohne Stiel» für mich als bekennender Weinglas-Fetischist anfangs etwas irritierend war, doch mit jedem weiteren Wein begann ich diese Art von Glas mehr und mehr zu schätzen.

Die Gravner Ribolla Gialla Weine werden übrigens absichtlich nicht zu kühl serviert, damit sich die ganze Komplexität der Aromatik optimal entfalten kann. Im Rahmen der Verkostung konnte ich einen külschrankkalten 2015er mit einem rund 16-18 Grad temperierten 2015er vergleichen; das ist die Temperatur, die das Weingut für den Genuss empfiehlt. Ich persönlich fand die goldene Mitte ideal und empfehle meiner Leserschaft, die Ribolla Weine von Gravner bei rund 12-13 Grad zu geniessen. Nachfolgende Degustationsnotizen teile ich gerne, wenn auch eine technische Bewertung dieser Weine äusserst schwierig ist, da ein Gravner Wein eigentlich gar nicht bewertet sondern vielmehr erlebt werden muss.

Mateja Gravner präsentiert das erste (rechts) und das aktuelle (links) Gravner Glas (c) vvWine.ch

2012, Ribolla Venezia Giulia IGT, Gravner, Italien, Friaul, Collio (100% Ribolla Gialla) Bernsteinfarben. Oxidative Nase, Orangen, Mandarinenzesten, etwas Staub, Sanddorn und viel Dörraprikose. Im Gaumen, strukturiert, mild, rund, feinwürzig, auch hier schwingt ein Hauch Oxidation mit, Sherry, Nüsse, faszinierend, wie der Wein bei sich ist. Sehr langer Abgang. Ein Gedicht, mit grossen Reserven. 95 vvPunkte

2015, Ribolla Venezia Giulia IGT, Gravner, Italien, Friaul, Collio (100% Ribolla Gialla. Auch im Friaul war 2015 ein schöner Sommer, gefolgt von viel Regen im Herbst, entsprechen hoch war der Botrytis-Druck, 14.5% Alkohol) Bernsteinfarben und mit intensivem Duft, viel Honig, Bienenwachs, getrocknete Kräuter, Lavendelblüten, Milchschokolade, Dörraprikosen, Hibiskus-Tee, ein faszinierendes Duftspiel. Im Gaumen mit Schmelz und Fülle, süsse, perfekt reife Frucht, top Struktur, die Gerbstoffe sind von höchster Güte, der Wein hat Struktur, viel Kraft und zeigt dennoch eine grosse Eleganz. Im Abgang mit salziger Note und grandioser aromatischer Länge. Ein Amber-Gedicht, ein Wein der singt. 97 vvPunkte

2013, Ribolla Venezia Giulia IGT, Gravner, Italien, Friaul, Collio (100% Ribolla Gialla. Ein durchschnittliches Jahr, 14% Alkohol) Orangefarben. In der Nase verhaltener als der 2015er, tiefgründig, kräuterig, Salbeiblüten, Kerbel, Quitte, Orangenzesten, Dörraprikosen, Koriandersamen, ein Gedicht, eine Nase zum Eintauchen. Im Gaumen elegant, keine Spur müde, obwohl der Wein 10 Jahre auf dem Buckel hat, die Gerbstoffe sind präsent, umgarnen die delikate Frucht, hier ist alles im Lot, nichts überwiegt, das ist ein Orange-Wein mit unglaublich viel Spannung und einem wunderbar langen, salinen Finale. Pure Eleganz. 94 vvPunkte

Die verkosteten Ribolla Gialla Weine von Gravner (c) vvWine.ch

2011, Ribolla Venezia Giulia IGT, Gravner, Italien, Friaul, Collio (100% Ribolla Gialla. Ein warmes und trockenes Jahr mit praktisch keiner Botrytis, 15.5% Alkohol) Sehr dunkles Orange, fast Bernstein. In der Nase mit nussigen Noten, auch Weihnachtsgewürze, Malz, Hefeteig, Trockenkräuter, Kurkuma, Koriander. Im Auftakt dezent süss, merklich Gerbstoff, dieser ist etwas ruppiger als in den jüngeren Weinen, die fehlende Botrytis lässt die Tannine stärker hervortreten als in anderen Jahren, der Wein ist dennoch sehr gut balanciert, wirkt kernig und etwas reiffruchtiger in der Aromatik als in anderen Jahren, zeigt im Abgang eine sehr gute Länge, endet auf malzige Rückaromen. 93 vvPunkte

2004, Ribolla Venezia Giulia IGT, Gravner, Italien, Friaul, Collio (100% Ribolla Gialla. Ein durchschnittliches Jahr, die Trauben wurden etwas früher gelesen, nur 12.5% Alkohol). Bernsteinfarben, schöner Glanz. Die Nase ist anfangs leicht stechend, zeigt medizinale Töne, Apothekerschrank, ein Hauch von Leim, darüber Gewürze, Orangenzesten. Im Gaumen noch immer frisch, keinerlei Müdigkeit, die Tannine sind fein mit der Frucht verwoben, verleihen Struktur und Charakter. Im Abgang ist der Wein langanhaltend, feinwürzig und balanciert, hat nicht ganz die Grösse von den jüngsten Jahren, doch hey, nach fast 20 Jahren ist dies ein absolut eindrückliches Orange-Wein-Erlebnis. 92 vvPunkte

1992, Ribolla Venezia Giulia IGT, Gravner, Italien, Friaul, Collio (100% Ribolla Gialla, 1 Jahr Ausbau im Barrique auf der Hefe, dann 1 Jahr im Stahltank, danach wurde der Wein abgefüllt. 12.5% Alkohol) Kräftiges Gelb. Sehr spezielle Nase, Mokka und Caramel, Nüsse, Kräuter, Wachsnoten, Honig, die Frucht ist im Hintergrund, jedoch präsent, wirkt erstaunlich jugendlich und noch immer von Sekundäraromen geprägt. Im Gaumen reichhaltig, rund, noch immer voll im Schuss, milde Säure, viel Druck, die Caramel-Note dominiert auch hier das Aromenbild, hallt im Abgang lange nach. Salines Finish. Eindrücklich gereift. 90 vvPunkte

Die Gravner-Weine sind das flüssige Spiegelbild der Biodiversität im Weinberg (c) vvWine.ch

2010, Bianco Breg Venezia Giulia IGT, Gravner, Italien, Friaul, Collio (Assemblage aus rund 40%, Sauvignon Blanc, dazu Pinot Grigio, Chardonnay und ganz wenig Welschriesling, 15% Alkohol). Dunkles Orange. In der Nase sehr expressiv, Brotrinde, Lavendelblüten, Kirschen, viel Würze, blind könnte man sich hier in einem Pinot wähnen. Im Gaumen dicht, konzentriert und doch federleicht, ungemein balanciert, gute Struktur, faszinierender Spannungsbogen und hochkomplexe Aromatik, die im ausgezeichnet langen Abgang mitschwingt. Grosses Kino! 96 vvPunkte

2008, Rosso Breg Venezia Giulia IGT, Gravner, Italien, Friaul, Collio (Von einer 1.7 Hektar kleinen Lage die mit der autochthonen Sorte Pignolo bestockt ist. Gärung mit den Schalen in georgischen Amphoren mit wilden Hefen und ohne Temperaturkontrolle. Reifung in Eichenfässern für fünf Jahre und in Flaschen für weitere neun Jahre. Abgefüllt bei abnehmendem Mond ohne Schönung oder Filtration. 15% Alkohol). Kräftiges Rot. Die Nase wirkt rauchig und speckig, viel satte Kirsche, auch Pflaumen, eher dunkelfruchtig geprägt, viel Tiefgang, klar und rein wie ein Bergbach, Noten von Tee sowie eine exotische Würze schwingen mit. Im Gaumen wiederum klar, knackige Frucht, viel Gerbstoff, ausgezeichnte Balance, der Wein verfügt über eine sehr gute Struktur und zeigt im Abgang eine grosse Länge. Dicht und doch federleicht, mit einer herbalen Note die sich im Rückaroma mit Tee vereint. 94 vvPunkte

2010, Ribolla Riserva Venezia Giulia IGT, Gravner, Italien, Friaul, Collio (100% Ribolla Gialla. Eine Auslese von Beeren mit deutlich mehr Botrytis. Dieser Wein ist auf dem Markt noch nicht erhältlich.) Sehr dunkles Bernstein. Die Nase ist intensiv, deutlich von Botrytis geprägt, man wähnt sich hier in einem Süsswein, Nüsse, Dörraprikosen, Rosinen, Feigen. Im Gaumen mit viel süsser Frucht, die Tannine markieren, sind super-fein mit der Frucht verwoben, die Balance aus Süsse und Säure stimmt, der Wein hat enorm viel Druck und Konzentration, bleibt dabei elegant, hinterlässt im fast endlosen Abgang die typischen Süssweinaromen und etwas Zimt. Eigenwillig, eigenständig. 96 vvPunkte

Bernsteinfarben und mit faszinierender Aromatik: Ribolla Gialla Weine von Gravner (c) vvWine.ch

Nach etwas mehr als 24 Stunden vor Ort war mein kurzer Trip ins Friaul dann auch schon viel zu schnell vorbei. Was mir in Erinnerung bleibt, sind eine wunderschöne Landschaft, herzliche Menschen und ein faszinierendes Weinerlebnis, das jedem noch so «orangekritischen» Menschen eine andere Sichtweise auf diesen Weinstil geben dürfte. Ich habe mir einige Flaschen Ribolla Gialla 2015 in meinem Keller gelegt. Der 2015er war in meinen Augen der kompletteste Wein, den ich auf dieser kurzen Reise verkosten durfte. Aber eigentlich egal, um welchen Jahrgang es sich handelt: Die Gravner-Weine sind ein flüssiges Spiegelbild von Landschaft, Geschichte, Menschen und Kultur. Jeder Schluck wird mich dereinst gedanklich zurück in die Rebberge und den Amphorenkeller von Gravner katapultieren. Es lebe die Ribolla Gialla!

Die Böden in Collio sind von Sandstein und Mergel dominiert (c) vvWine.ch
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