Zum Menü 1 no bitte es Vierteli vom Rote.

Ich selbst bin ja ein Kind aus den frühen 70er. Sie wissen, einer der ohne Fahrradhelm und ohne Kindersitz mit Mami aufs Velo durfte, mein Vater hat im Auto noch geraucht, es waren die Zeiten, wo es auch mal eins an die Löffel gab und im zarten Alter von acht Jahren durfte ich schon mal an einem Weinglas nippen. Also gehöre ich zu denen, welche die Kindheit gerade so knapp überlebt haben, wohl oder übel aber bald an deren Spätfolgen sterben werden.

Wenn Keith Richards im zarten Alter von 75 Jahren beschliesst nüchtern zu werden, kann man ihm das nicht verübeln. 60 Jahre lang durchgehend stoned zu sein, stelle ich mir auch verdammt anstrengend vor. Und der alte Keith liegt damit voll im Trend. Denn nüchtern sein, im Sinne von null Promille Blutalkohol, ist ja seit geraumer Zeit en vouge. Dabei geht es aber nicht etwa darum einen klaren Kopf zu behalten, sondern lediglich dem momentanen Gesundheitstrend, wo alles, aber wirklich alles was annähernd Spass macht und schmeckt einem gründlich vergällt wird, zu folgen. Rauchen? Tödlich! Es wird dich töten. Nicht eventuell und auch nichts anderes auf der Welt, sondern genau diese Zigarette. Fleisch? Darmkrebs. Zucker? Da können Sie auch gleich Zyankali schlucken. Überlebenschance beim Konsum gleich Zero. Selbst streiten in der Partnerschaft soll das Leben verkürzen, wie eine Studie kürzlich herausgefunden hat. Und dann gibt es ja noch den Alkohol. Das nächste Opfer auf der immer länger werdenden Liste von potenziell tödlichen Lebensmitteln. Daher trinkt man jetzt also auch immer weniger davon. Vor allem aber nicht vor 18 Uhr, denn das ist eine ganz grosse Sünde, aber dazu später. Zum Abendessen darf es dann aber gerne ein Fläschli sein, gefolgt von ein paar Gin Tonics, denn der Mensch muss ja auch irgendwie mal etwas abschalten können. Aber das kennen Sie ja bestimmt.

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Heute wird, wo früher über Mittag noch ein Gläschen Vino oder ein Bierchen getrunken wurde, dafür fleissig aus dem Vaporizer gekifft, man schluckt sogenannte «Nootropics» (das sind Stoffe die einem leistungsfähiger machen sollten) und zieht sich anstelle eines Mittagessens ne Line Koks oder Speed rein. Oder man spritzt sich Microdosen LSD unter die Zunge damit man «kreativer» in der Prozessfindung wird. Das Ganze wird dann literweise mit frischem Ingwertee oder grünen Smoothies begleitet. Das gute alte «Vierteli» aber bleibt dabei auf der Strecke, obwohl es während Jahrhunderten der Jungbrunnen jeglicher Kreativität war. Warum aber, hat sich dies nun geändert?

Da erinnere ich mich doch gerne an die Zeit, wo meine Eltern und Grosseltern noch ein Glas Wein zum Mittagessen getrunken haben. Ja mein Vater ging dazumal mit jedem potenziellen Mitarbeiter Mittagessen. Dabei wurde selbstverständlich etwas Wein getrunken. Anhand der vorhandenen Tischmanieren und der nötigen Eloquenz wurde die Person dann entweder eingestellt oder verabschiedet. Mein Patenonkel war Werber, meine Nachbarn Unternehmer und ich kann mich gut erinnern, dass überall am Mittag ein paar Gläser Wein getrunken wurden. Ja selbst der Lehrer auf dem Schulreisli trank ein Bierchen über Mittag. Heute wäre das ein Kündigungsgrund, obwohl es die Pädagogen IMHO am meisten verdient hätten.

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Es gab also noch Zeiten, wo die ganze Schweiz noch nicht ganz so verkrampft war wie Heute und zum Mittagessen auch gerne mal etwas Wein getrunken wurde. Also das, was der Westschweizer immer noch gerne macht, aber in der gesamten Deutschschweiz total verpönt ist. Und zwar extremst. Ja, bestellen Sie zum Mittagessen mit ihren Arbeitskollegen mal ein Glas Wein, oder noch schlimmer: um 11 Uhr ein Bier. Da werden Sie beäugt wie ein Marsmännchen das gerade aus dem UFO steigt. Wir sind da ja nicht in München, gell! Weit und breit keine Weisswurst in Sicht – obacht gäledsi! Man wird Ihnen also umgehen Fragen zu Ihrem Alkoholkonsum stellen und gleich nach dem Mittagessen wird dann heimlich die Intervention geplant und sicherheitshalber schon mal in der Klinik angerufen und nach einem freien Plätzchen gefragt. Aber ist das denn wirklich nötig?

Woher kommt denn diese Abneigung zum passenden Essensbegleiter und savoir vivre? I tell you: Es ist der Zeitgeist der selbstauferlegten Kasteiung und des Körperkultes der Spartaner, welcher heute, im Zeitalter von Instagram so gerne gelebt wird. Denn wer heute erfolgreich ist, der hat gefälligst noch vor dem Frühstück einen Marathon zu rennen, war davor eine Stunde zum Body-Shapen in der Mukibude und ernährt sich vegan, glutenfrei, low-carb, high-protein, straight, clean, isst nur Rohkost, paleo-lakto und ist natürlich auch Klimatarier. In der Hochleistungsgesellschaft hat der Wein einfach keinen Platz mehr. Und wie ergeht es uns Weintrinker? Uns haftet das Bild der Faulheit und Unproduktivität an den Fersen, so wie dem RAV die Arbeitsuchenden. Man bestellt also aus Angst schubladisiert zu werden keinen Wein mehr über Mittag. Im Zeitalter der Toleranz eine äusserst bedenkliche Entwicklung. Aber ist der weintrinkende Angestellte tatsächlich der schlechtere Arbeitnehmer? Muss man Angst haben ein Glas Wein zu bestellen um nicht gleich als Alkoholiker abgestempelt zu werden? Ich denke nicht.

Hier ein paar Gründe, die für ein Glas Wein zum Mittagessen sprechen:

Wein ist, in Massen getrunken (kleiner Witz am Rande), sehr gesund. Googeln Sie und Sie finden hunderte von Studien, welche dies belegen (und ebenso viele die dem wiedersprechen, aber die ignorieren wir hier mal). Ausserdem: Wer leicht eine sitzen hat ist wesentlich kreativer und entspannter im Umgang mit seinen Arbeitskollegen, den Vorgesetzten und seiner erlauchten Kundschaft. Fact ist ebenso, dass die wirklich wichtigen Geschäfte nie am Telefon, sondern persönlich, Auge in Auge, bei einem Essen und mit einem guten Wein per Handschlag besiegelt werden. Ja genau, Handschlag und Auge in Auge – nicht per Whatsapp oder Facebook.

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Und was zufriedene Kunden heisst, muss ich wohl keinem CEO oder Bereichsleiter erklären. Geschweige denn, die Wichtigkeit von glücklichen Mitarbeitern. Wenn sich also die Abteilung über Mittag ein Fläschchen Vino genehmigt, sollten Sie froh darüber sein, denn die Stimmung im Büro wird eine bessere sein und die Produktivität und somit Ihr Bonus wird garantiert in die Höhe schnellen.

Aber – und jetzt kommts; Wer es nicht für den Chef macht, oder der Chef für seine Mitarbeiter, machen Sie es eben für sich. Gehen Sie statt in den Coop to go in ein gutes Restaurant. Bestellen Sie sich dort eine leckere Vorspeise, dann die Hausspezialität und lassen Sie sich dazu vom Kellner oder Sommelier den passenden Wein empfehlen. Sündigen Sie hinterher mit einem feinen Dessert und lassen Sie sich beim Kaffee alle Zeit der Welt. Anschliessend gehen Sie mit einem riesen Grinsen im Gesicht zurück ins Büro (oder noch besser, Sie gehen nach draussen und legen sich in die grüne Wiese und schauen die Wolken an). Seien Sie mutig und probieren Sie es aus, es wird Ihnen bestimmt gefallen.

Und jetzt noch der Tipp des Profis: Nein, es ist nicht der Rotwein der müde macht, sondern der Alkohol. Lassen Sie sich also nicht bis oben hin volllaufen und geniessen Sie anstelle eines 16 prozentigen Amarones doch einfach mal etwas Erfrischendes wie ein Gläschen Champagner (geht sowieso immer), einen spritzigen Chablis oder etwas Einheimisches, wie beispielsweise einen eleganten Chasselas. Und falls Sie lieber etwas Rotwein trinken, versuchen Sie es doch mal mit einem eleganten Pinot Noir, einem schlanken Sangiovese, einem Beaujolais oder einem leichten Nebbiolo. Und wenn Sie den Chef einladen, spendieren Sie eine schöne Flasche eines gereiften Bordeaux – Hauptsache unter 14 Vol. %., denn dann schlafen Sie am Arbeitsplatz auch nicht ein. Alle anderen trinken Rosé, der vor allem an heissen Tagen zu einem besonderen, provenzalischen Urlaubsfeeling und somit zu allerbesten Laune und höchster Produktivität führen wird. Ehrenwort!

#mehrweinammittag #savoirvivre #iloverosé

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