Il Cavaliere Lorenzo Accomasso.
Es war mehr als eine Knacknuss, einen Besuchs-Termin mit Lorenzo Accomasso einzufädeln. Hompage? Fehlanzeige! Telefon? Ja, aber nach einem ersten und bisher einzigen Gespräch im Dezember 2018, wo mich Lorenzo Accomasso auf «doppo natale» (also nach Weihnachten) vertröstete, war auch auf diesem Weg kein Durchkommen mehr. Erst auf die Bemühungen eines Weinfreundes hin, der via Lorenzos Nachbarn einen weiteren Versuch lancierte, bekamen wir so eine Art Termin. Samstag, zwischen 15 und 16 Uhr. Ob und wie sehr willkommen wir waren, war seinerzeit aber noch völlig unklar.
Es ist ein unscheinbares Haus, an dem man wie an tausend anderen in der Gegend unbemerkt vorbeifahren würde, stünden da nicht eine alte Tafel und zwei nicht ganz eindeutig ausgerichtete Wegweiser mit dem magischen Wort «Accomasso» drauf.
Simona öffnete die Türe und bat uns, in der völlig überheizten Stube platz zu nehmen. Es war eigentlich mehr eine Werkstatt, mit einem einfachen Tisch, ein paar Stühlen und zig Flaschen auf, um und unter dem Tisch. «Bitte lasst die Flaschen genauso stehen wie sie sind» sagte Simona, «der Cavaliere hat da sein eigenes Prinzip und mag nicht, wenn man aufräumt».
Es dauerte eine Weile, bis der Cavaliere in den Raum trat (Lorenzo Accomasso wurde vom italienischen Staat zum Cavaliere del Stato geehrt. Diese Ehrung wurde im Jahr 2017 durch die Ernennung zum Commendatore della Republica sogar noch erweitert). Und es war irgendwie ein magischer Moment. Lorenzo ist ein freundlicher, älterer Herr mit unglaublich viel Schalk. In breitem Piemont-Dialekt spricht er, und ich komme darum deutlich an meine sprachlichen Grenzen. Doch im Kontext werden die Inhalte auch ohne tiefere Dialekt-Kenntnisse klar. Es geht nicht nur um Wein, es geht vor allem auch um Lebensfreude. Die vielen Fotos an den wänden zeigen Lorenzo Accomasso mit Frauen, Frauen und nochmals Frauen. Er schien und scheint sie zu lieben und so bereuten wir es sehr, dass wir unsere besseren Hälften nicht dabei hatten, Lorenzo hätte die Answesenheit unserer Damen sicher sehr geschätzt.
Die Zeit schein hier stehen geblieben zu sein. 1958 produzierte Lorenzo Accomasso seinen ersten Barolo und ohne mit der Wimper zu zucken, schenkt er uns einen 2011er Rocchette Riserva ein. Danach einen 1997er der gerade so rumsteht. Beides Weinerlebnisse, wie man sie selten hat. Es sind spannungsvolle, emotionale und äusserst komplexe Weine, Tropfen die berühren, unglaublich tiefgründig, eigenständig und charaktervoll sind, und mit einem grossen, aromatischen Spektrum sowie viel Länge im Abgang überzeugen. Beide Weine sind technisch vielleicht nicht perfekt, doch wen interessiert das schon? Wie bei meinen Besuchen bei Rayas und Bonneau stehen hier Weine im Glas, die vom Terroir und einer magischen Weinpersönlichkeit geprägt sind. Es sind keine schmeichelnden Barrique-Barolo. Im Gegenteil. Lorenzo Accomasso konnte sich nie mit dem sogenannten «Modernisti-Stil» anfreunden. Alle Accomasso-Weine werden spontan vergoren. Für den Ausbau setzt er zu 100% auf grosse Holzfässer und Glasbottiche. Der Barolo liegt je nach Jahrgang sehr lange (über einen Monat) auf der Maische und kommt meist erst 8 bis 9 Jahre nach der Ernte auf den Markt, dann, wenn der Cavaliere der Meinung ist, dass ein erstes Trinkfenster erreicht ist. Der von uns verkostete 2011er ist also das jüngste, erhältliche Accomasso-Kind.
Ein Kind, welches man leider nur in homeopatischen Dosen kaufen darf oder aber dann zu horrenden Preisen auf dem Sekundärmarkt. Wir bekammen, kurz vor unserem Abschied und auf mehrmalige Nachfrage hin, dennoch zwei Flaschen zu einem vernünftigen Kurs. Und ich bin sicher, wir werden diese in guter Gesellschaft mit unseren besseren Hälften geniessen – denn etwas mehr weibliche Gäste hätte er wahrlich verdient gehabt, der Cavalliere.
Sie schreiben, dass sie in einer völlig überheizten Stube mit unzähligen Flaschen Platz genommen haben. Waren dann die Baroli überhaupt zu degustieren, da diese ja auch viel zu warm gewesen sein müssen.
Grüezi Herr Meier. Gut beobachtet! Die Weine waren bezüglich Temperatur aber genau richtig. Obwohl im Raum wohl ca. 24-25 Grad war (was sich total überhitzt anfühlt, wenn man vom kalten Draussen kommt), wurden die edlen Tropfen mit ca. 17-18 Grad ins Glas eingeschenkt. Die Weine standen ergo nicht lange in diesem warmen Raum, sondern ruhten zuvor in einem kühleren Keller.