Punkte kann man nicht trinken.

, , ,

Im Anschluss an die Mini-Vertikale mit den «Unter der Linde»-Weinen machte sich der Gastgeber den Spass, uns zwei Weine aus anderen Regionen blind zu servieren (die Eindrücke des Gastgebers sowie seinem Mitschreiber findet man hier). Während ich beim ersten Wein nach einer halben Nase sicher war, dass es sich hier um einen sehr schönen, reifen Bordeaux handelt, war ich beim zweiten Wein total verloren. Zwar ordnete ich diesen der Neuen Welt zu, doch auf die Sorte Syrah wäre ich nie gekommen, denn die Aromen erinnerten mich sehr an Primitivo/Zinfandel und die enorme Fruchtsüsse liess mich auch an einen (guten) Amarone oder einen hochwertigen Wein aus Süditalien denken.

Ich gab beiden Weinen 18.5 Punkte (92 respektive 93 von 100 Punkten). Interessant aber ist, dass ich nur den Ersten der beiden Weine selber trinken würde, obwohl ich Letzteren sogar einen Tick höher benotet habe. Diese beiden Weine zeigen exemplarisch auf, dass eine hohe Punktzahl noch lange nicht persönlichen Genuss garantiert. Im Gegenteil. Wir versuchen auf diesem Blog, die Weine so objektiv wie möglich zu benoten und zu beschreiben. Das heisst, die vvPunkte reflektieren primär die Qualität der Weine und nicht unser subjektives Empfinden. Die Subjektivität (= der Wein gefällt mir) fällt auf der 100er Skala mit einem bis maximal zwei Punkten ins Gewicht, was in der Umrechnung auf die 20er Skala maximal einem halben Punkt entspricht (mehr über das Bewertungssystem erfährt man hier).

Ich empfehle den Lesern unseres Blogs darum wärmstens, nicht nur die Punkte sondern auch die Texte zu lesen, denn nur so kann man sich ein Bild darüber machen, ob der Wein einem tendenziell schmecken wird oder nicht. Nachfolgende die Notizen zu den Corpora Delicti.

Trotz 18.5 vvPunkten (93/100) für mich persönlich kein Genuss (c) vvWine.ch

2003, Château Lascombes, Margaux (Merlot, Cabernet Sauvignon, Petit Verdot). Reifes Rubin, leicht aufgehellter Rand. In der Nase sehr Bordeaux, ein wahres Gedicht und offen wie ein Scheunentor, da sind viele Kräuter, deutlich rotfruchtige Aromen, darüber etwas grüne Paprika, auch Anflüge von Leder und Zedernholz, man möchte am liebsten Eintauchen in diesen Duft. Im Gaumen sehr weicher aber dennoch frischer Auftakt, sensationell klar, rein und sowas von auf den Punkt gereift, mittlerer Körper, feine Textur, sehr gute Struktur, die Säure genau richtig dosiert, stützt die reife, rote Frucht, die Gerbstoffe sind wunderbar integriert, machen sich erst ganz hinten im Gaumen bemerkbar. Im Abgang langanhaltend, feinwürzig, endet auf reife, rote Kirschen. Das macht Spass, bitte noch ein Glas davon… Jetzt bis 2027+ geniessen, 18.5 vvPunkte (92/100)

2004, Torbreck «The Factor», Barossa Valley, Australien (Syrah). Kräftiges Rubin, noch schöner Glanz. In der Nase, sehr Neue Welt, Gewürzebrot, Hagebutten, Eukalyptus, viel dunkle, reife Frucht, Kirschen, Pflaumen, Brombeeren, das ist super komplex, erinnert mich blind an einen Primitivo/Zinfandel. Im Gaumen weich zugänglich, vollmundig und mit opulenter, reifer Frucht ausgestattet, sehr süss und mit eher tiefer Säure, die Gerbstoffe von höchster Qualität, aromatisch fast schon kitschig, zeigt neben der reifen Frucht (Marmelade) auch würzige Noten. Im Abgang sehr, sehr langanhaltend. Der Wein wirkt auf mich zu gemacht – allerdings sehr gut gemacht. Stilistisch diametral gegenüber von dem, was ich trinken mag, technisch gesehen aber sehr gut bis ausgezeichnet. Ich persönlich hatte nach einem halben Glas genug davon. Wer aber auf konzentrierte Wuchtbrummer steht, kann diesen Wein noch lange geniessen. Jetzt bis 2030+, 18.5 vvPunkte (93/100)

Fazit: Punkte kann man nicht trinken, Buchstaben schon eher…

0 Kommentare

Dein Kommentar

Want to join the discussion?
Feel free to contribute!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.