20km zu Fuss. Eine Linde in Fislisbach. Und Skurriles.

Unser (Wein-)freund Stefan Iseli vom Restaurant Cafe Boy in Zürich gab uns den Tipp. Man esse gut in der Linde in Fislisbach. Und die Weinkarte sei sehr schön und die Preise fair. Sowas lässt man sich natürlich nicht zwei mal sagen.

Gestern spazierten wir hin. Von Windisch bis Fislisbach. Und zurück. Naja, es war schon fast eine Wanderung. Also für mich schon eine grosse Wanderung sogar. 20 Kilometer quer über Felder und durch Wälder von Windisch, Gebenstorf, Birmenstorf  und Fislisbach. Und ja – Einfamilienhäuschen haben wir auch gesehen. Viele. Man wird sich der Hüslisüch besser bewusst, wenn man zu Fuss durch die Reihenhaus-Siedlungen geht. Individualität definiert man hier über spezielle Eingangstüren; der eine modern, der andere rustikal…

Und man begegnet auch sonst ganz abenteuerlichen Dingen. Innovative Anti-Graffiti-Grundierungen zum Beispiel (diese haben ihren zentralen Zweck zwar gänzlich verfehlt aber die Allgemeinheit dafür bestimmt ganz viele Steuerfranken gekostet…)

Es gibt den Coiffeur Monika in Fislisbach (bitte nicht füttern…).

Und es gibt tolle, ökologische Autos mit Wasserflammen (weniger Hubraum, mehr Spoiler).

Und es gibt ganz viele Hinweise auf Ü30 Parties (Ü40, Ü50, Ü60 für ein gemeinsames Wandererlebnis werden folgen…).

Irgendwie ist vieles einfach so wie’s früher einmal war. Die Zeit scheint stehengeblieben zu sein. Für uns als Ex-Städter jedenfalls. Das hat auch viel Angenehmes.

Die Natur im Agglo-Naherholungsgebiet ist wunderschön (liebe Städter, bitte bleibt wo ihr seid, sonst stehen hier bald auch Reiheneinfamilienhäuschen mit kreativen Eingangstüren.)

Nun, wenn man dann aber in der Linde sitzt, sind die tristen Siedlungen  und teils skurrilen Eindrücke rasch vergessen. Die Linde ist ein Gasthof mit langer Tradition. Die Räumlichkeiten sind heute moderner gestaltet als anno dazumal. Doch nach wie vor zieren viele alte Elemente den Gasthof. Die Steinmauer im „Zehntensaal“ lässt uns irgendwo zwischen „Drinnen“ und „Draussen“ schweben. Sie sei echt, die Steinmauer.

Das Personal: sehr freundlich, sehr herzlich. Man fühlt sich als Gast. Keine Selbstverständlichkeit mehr in der heutigen Gastronomie.

Die Speisekarte: gepflegt unspektakulär. Sich zu entscheiden fällt schwer, denn man hat (nach 10 Kilometer Fussmarsch sowieso) Lust auf alles. Wir entscheiden uns für einen Blattsalat resp. einen Randen-Salat mit Meerrettich sowie den herbstlichen Rehrücken. Die Speisen sind sehr gut zubereitet, der Rehrücken perfekt auf den Punkt gegart. Und die Portionen genau richtig. Kompliment!

 

 

Die Weinkarte: Sehr schön. Viele Aargauer Weine. Viele Schweizer Weine. Eine kleine aber feine Auswahl an internationalen Tropfen. Die Preise sind dabei von A-Z fair kalkuliert. Wir entscheiden uns für einen 2012er Médinette von Bovard (der passte irgendwie gerade zu unserer Stimmung) und einen 2011er Charmes-Chambertin von Lucien Le Moine. Der Senior-Chef kommt an den Tisch und präsentiert den Wein. Eine sehr schöne Geste. Hier schätzt man die gepflegte Weinkultur. Es kamen auch keine vorwurfsvollen Fragen, als wir den noblen Burgunder für eine kurze Zeit kühlstellen liessen. Pinot schmeckt wohl auch dem Chef bei 16 Grad besser als bei 20…

 

Beide Weine passen hervorragend zur gepflegten Küche. Der Dezaley mit seiner herrlichen Mineralik, seiner feinen Frucht, so zart und doch intensiv… Der Charmes-Chambertin trotz jugendlichen Alters ein zugänglicher, aristokratischer Wein. Die Nase ist eine Droge, ich könnte stundenlang schnüffeln. Am Gaumen herrlich komplex, mineralisch, das ist Spannung pur. Ich habe mir keine Verkostungs-Notizen gemacht. Schliesslich war es ein Mittagessen, keine Weinprobe. Aber dieser Grand Cru aus einem Sandwich-Jahr (2010 und 2012 gelten als sehr, sehr gute Jahre) dürfte jeden Burgunderfan begeistern. Aus dem Gedächtnis (19.5 vvPunkte – 97/100).

Man mag mir vorwerfen, den Wein zu jung geopfert zu haben. Aber der Senior-Chef brachte es gut auf den Punkt: Wein sollte man lieber zu jung als zu alt geniessen, vor allem wenn’s ein Burgunder ist. Dem kann ich zu 100% beipflichten.

Es war schön in der Linde. Sehr schön! Wir kommen wieder. Und wir kommen wieder zu Fuss.

Impressum: Adrian van Velsen, Alte Spinnerei 1, CH-5210 Windisch, Telefon +41 44 350 01 44. Adrian@vvWine.ch
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