Die Weinprobe.

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Schon lange plagt mich das schlechte Gewissen, hierfür einfach keine Zeit gefunden zu haben. Zu gross war der Bedarf, eigene Texte zu schreiben, zu viel los, zu aufregend das Leben und zu hart hat mich die Muse der Kreativität verlassen. Selbstzweifel nagten an mir, und beim Lesen meiner bisherigen Texte dachte ich, es hätte schlimmer kommen können. Und so habe ich wohl in Gedanken die Latte zu hochgelegt und es vergingen Wochen und Monate, bis mich die Muse kürzlich im Vorbeiflug doch wieder etwas kitzelte. Und so sitze ich nun endlich wieder mal allein zu Hause (Frau ist bei Freundinnen, Kind spielt draussen), mit einer Flasche Champagner, höre etwas Jazz und haue in die Tasten, damit ich auch in Zukunft wieder etwas zu essen und zu trinken bekomme, wenn ich in Windisch einen Zwischenhalt einlege.

Ich bin mir sicher, dass Sie schon einmal an einer Weindegustation teilgenommen haben. Weindegustationen sind für Semi-Alkoholiker wie mich und andere professionelle Trinker ein wunderbares Fest, um Neues kennenzulernen. Dabei muss man verschiedene Settings unterscheiden und sich entsprechend vorbereiten. Denn Weindegustation ist nicht gleich Weindegustation. Wer zur Weindegu geht, glaubt schon, dass er etwas von der Materie versteht, denn schliesslich trinkt er schon sein ganzes Leben lang Wein. Die anderen, also die, die keine Ahnung haben, sind mir fast lieber. Denn die halten sich meistens zurück und sagen höchstens mal «lecker», was nach gefühlten drei Millionen distinguierter Verkostungsbemerkungen und verbalen Höchstleistungen einfach mal auch sämpa rüberkommt.

Aber von Anfang an: Wie gesagt, es gibt Degus und Degus. Es gibt die Degus des Fachhandels. Die meisten machen das so, dass sie ihr Verkaufspersonal hinter Tische stellen, man kann da durchgehen und genau diese Weine probieren. Dabei bekommt man mehr oder weniger fachkundige Informationen über Wein und Winzer. Aber die Erwartungshaltung ist klar: Kauf, Baby, kauf!

Dann gibt es die Degus des Fachhandels 3.0. Da gibt man sich viel mehr Mühe. Da werden Winzer eingeflogen. Nicht einer, nicht zwei, sondern manchmal deren 20 oder 40. Oft ist das dann einem Anbaugebiet oder einem Land gewidmet. Themen wie Bordeaux, Champagne oder Spanien, Deutschland, you name it. Das ist dann schon toll. Nirgendwo sonst kann man so viele Weine auf einmal probieren. Nirgendwo sonst kann man so viele Winzer gegeneinander antreten lassen, oder eine Appellation gegen die andere. Der Nachteil ist, dass solche Veranstaltungen immer sehr gut besucht sind, und ich empfehle hier, so früh wie möglich hinzugehen. Der Hauptgrund wäre die Temperatur der Weine, die zu fortgeschrittener Stunde immer wärmer werden. Der zweite Grund, je später die Zeit, desto mehr von denen, die nicht wissen, dass es eine gescheite Idee wäre, den Wein auszuspucken anstelle zu schlucken. Und von denen gibt es erstaunlich viele. Oft sind das aber auch Anfänger, welche die Spielregeln nicht kennen, oder nicht kennen wollen. Aber äbe, jedem das seine.

Und dann gibt es noch die Verkostungen für die Profis. Zum Beispiel, wenn die Franzosen, genauer die aus dem Bordelais, mit rund 150 Weinen in einem Hotel aufschlagen und die Fachpresse einladen, die Gewächse des neuen Jahrgangs möglichst hoch zu bewerten. Und so trifft sich der Schweizer Weinadel in geschlossener Formation. Alles ganz ruhig und konzentriert. Dazu muss man wissen, dass sich der Weinadel vom richtigen Adel insofern unterscheidet, als der erbliche Adel, also Herzog, Prinzessin, Königin und Könige, schon richtig volksnah sind, ganz im Gegensatz zum Weinadel, der sich oft für was Besseres hält als das gemeine Volk. Die haben ja schliesslich Ahnung und wir anderen eben nicht.

Die grüssen auch nie, obwohl man sich öfters über den Weg läuft und auch schon mal was gemeinsam gegessen hat. Die stehen da in zu kurzen Hosen und mit dicken Bäuchen, nippen affektiert am Glas und schreiben ihre Ergüsse auf, die der werte Leser dann später in der Presse lesen darf.

Vor ein paar Monaten war ich auf einer Veranstaltung, wo es von Kritikern nur so wimmelte. Mit jedem durfte ich ein Selfie machen: Stephan Reinhard, William Kerry, Ädu von Velsen und natürlich mit jedem anwesenden Winzer. Nur mit einem Schweizer Kollegen nicht. Der eine Herr, er schreibt unter anderem für eine grosse Schweizer Tageszeitung mit drei grossen Buchstaben, schaute mich so konsterniert von oben bis unten an, als wäre ich ein Kamel auf Schlittschuhen. Ich sagte: «Sali du, chum, me mached es Foti.» «Warum wänd Sie es Foti mache?» Ich mache von allen ein Foto, und dann schreibe ich einen Artikel und veröffentliche ihn. «Dänn sicher nöd.» «Aha, okee. Messi gäll!»

Der war sich offensichtlich zu fein, sich mit den anderen auf einer Internetseite zu sehen. Kann passieren. Aber ja, nicht so tragisch, man will ja sowieso gerne das Neue zeigen und selten das Alte (es sei denn, es ist alter Wein).

Aber am liebsten sind mir Weinverkostungen im privaten Rahmen. Wenn also Weinliebhaber sich zu einer Degu einladen, damit sie ihren Frauen wieder mal sagen können «Schätzeli, nächscht Wuche hani e wichtigi Degu weisch. Muesi gah, chani nöd verpasse, einzigartig, isch klar – nei dasmal eskalierts bestimmt nöd, versproche!» Sie ahnen es: Alles gelogen!

An einem schönen Herbstabend, war ich zu einem solch einzigartigen Event. Acht erfahrene Weinfreunde mit übervollen Weinkellern waren eingeladen. Die Aufgabe war klar und einfach definiert: Jeder sollte eine (1) Flasche Wein mitbringen. Und nun raten Sie mal, wie viele Flaschen am Ende auf dem Tisch standen? Achtzehn (18) Flaschen! Weil jeder von uns Nasen vor seinen unerschöpflichen Weinvorräten stand und dachte: «Also das passt zur Pizza, aber das ist auch geil und diese Flasche, die wollte ich sowieso schon lange mal dem anderen unterjubeln» und so weiter und so fort. Und dann waren da noch ein paar Flaschen Champagner. DAS IST DOCH NICHT NORMAL!

Jetzt ist das unter Weinfreunden nicht so, dass man einfach Flaschen aufmacht und sich einschenkt, was einem schmeckt, und dann einfach trinkt, so viel man will, nein, hier wird natürlich verkostet, und zwar blind. Also jedem ein Schlückli ins Glas, dann probiert jeder, schluckt oder spuckt, jeder gibt seinen Senf dazu und so weiter und so fort. Das muss man sich mal vorstellen, bei 18 Flaschen dauert das ewig. Da trinkt man schon aus purer Verzweiflung jedes Glas auf Ex, in der Hoffnung, dass die nächsten Minuten schneller vergehen als die letzten und es hoffentlich bald was zu essen gibt.

Die private Weinprobe. Es liegt in der Natur der Sache, dass das oft in viel zu viel Wein ausartet, den kein Mensch trinken kann. Aber ich liebe sie trotzdem. Erstens muss ich mir, seit ich diese Veranstaltungen organisiere, keine eigenen Socken mehr kaufen, und zweitens sind das alles, ausnahmslos, verdammt liebe Menschen mit dem Herz am rechten Fleck, auch wenn der eine oder andere ein bisschen was an der Waffel hat – ich schliesse mich da übrigens nicht aus, sondern stelle mich ganz vorne an. Oder waren Sie mal an einem Wein-Event, an dem ein Hund der Mittelpunkt war? E voilà!

Mein Plan für 2025: Ich organisiere eine Weindegustation, bei der es verboten ist, über Wein zu sprechen. Nur geniessen und schweigen. In diesem Sinne wünsche ich euch bald frohe Festtage, ein gutes neues Jahr, in dem eure Wünsche in Erfüllung gehen und Wein Wein ist. Nicht mehr und nicht weniger.

1 Antwort
  1. Chris
    Chris says:

    Einmal mehr gut beobachtet und treffend formuliert – herrlich die Episode mit dem leicht adstringierenden Herrn Kritiker der grossen Schweizer Tageszeitung mit drei grossen Buchstaben.

    Antworten

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