Greenhat goes «Les Bulles».
Es gibt wohl nur wenige Leute in der Schweiz, die über ein so tiefes Wissen über Champagner verfügen wie Dominik Betschart. Champagnergelehrter nennt man ihn auf der Homepage und er ist im wahrsten Sinne des Wortes ein lebendiges Champagner-Lexikon. Es gibt kaum einen Winzerbetrieb, den er nicht kennt, und kaum ein Terroir, das er nicht schon selbst besucht hat. Entsprechend fein ist seine Spürnase was delikate Bläschen-Weine angeht und es erstaunt mich nicht, dass er sein grosse Champagner-Wissen nun in Form einer eigenen Champagner-Handlung namens «Les Bulles» kommerzialisiert.
Klein, aber fein könnte man das Sortiment aktuell bezeichnen, sind doch lediglich fünf Winzerpersönlichkeiten gelistet, welche letzte Woche im Boutique Hotel Villa Signau persönlich anwesend waren, um ihre Schaumweine vorzustellen. Soviel vorweg: Dominik hat zusammen mit den Herren Dirk Hany (Bar am Wasser), Florian Schmidt-Gabain (Rechtsanwalt und Champagner-Sammler) und Michael P. Sutter (Champagner-Liebhaber) ganze Arbeit geleistet. Alle verkosteten Weine mochten mich zu überzeugen, jeder Tropfen in seinem eigenen Stil und ja, teils auch in seiner eigenen Preisklasse. Das Bessere ist der Feind des Guten…
Den Anfang machten die Weine von Champagne André Jacquart, ein rund 24 Hektar grosser Familienbetrieb, an der Côte des Blancs. Marie Doyard hatte eigentlich nicht vor, den elterlichen Betrieb zu übernehmen. Als sich ihre Eltern aber zur Ruhe setzen wollten, übernahm sie mit nur 25 Jahren den Betrieb dennoch, unter der Bedingung, dass sie uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit geniesst.
NV, Vertus Expérience, extra brut, Champagne André Jacquart, Frankreich, Champagne, Côte des Blancs, Vertus (100% Chardonnay, ohne Malo, 4g Dosage). Feiduftig, reiffruchtig, sehr Chardonnay, etwas Gebäck, reife Zitrusfrucht. Im Gaumen mit Volumen und Druck, leicht cremige Textur, wirkt reiffruchtig, zeigt eine feine Perlage und eine präsente, sehr gut integrierte Säure. Stimmig in der Dosage und langanhaltend im Abgang. Sehr schön. 90 vvPunkte.
NV, Mesnil Expérience, brut nature, Champagne André Jacquart, Frankreich, Champagne, Côte des Blancs, Le Mesnil-sur-Oger (100% Chardonnay, ohne Malo, 0g Dosage, 15er Basisjahr). Steinig, kühl, klar und rein, mit zitrischen Noten, Würze, ein Hauch Mokka, viel Mineralik, wow! Im Gaumen präzis und frisch, druckvoll und doch federleicht, grandiose Balance, feine Perlage, beeindruckende Länge. Eine Sünde. 92 vvPunkte.
NV, Mesnil Expérience, extra brut, Champagne André Jacquart, Frankreich, Champagne, Côte des Blancs, Le Mesnil-sur-Oger (100% Chardonnay, ohne Malo, 4g Dosage). Reiffruchtiger, mit etwas mehr Brioche, Zitrusnote, Kräuter, Stein. Im Gaumen fülliger und runder, mit etwas mehr Speck auf den Rippen, weniger gnadenlos, jedoch nicht weniger spannend. Ein Tick weniger Länge im Abgang. Ein stimmiges Paket. 91 vvPunkte.
2012, Mesnil Expérience Millésime, extra brut, Champagne André Jacquart, Frankreich, Champagne, Côte des Blancs, Le Mesnil-sur-Oger (100% Chardonnay, ohne Malo, 4g Dosage). Stille komplexe Kase, kräuterig, rauchig, merklich Stein, frische Haselnuss, das Holz ist hier ein wenig markanter als bei den NV Weinen, jedoch top eingebunden. Im Gaumen saftig, frisch, sehr viel Druck, wunderbar feine Perlage, exotische und zitrische Früchte, getragen von einer markanten Säurestruktur, strahlt Wärme aus, hat dennoch einen straffen und kühlen Charakter. Wunderbar lang im Abbgang, ein klasse Jahrgangs-Champagner. 93 vvPunkte.
N/V, Rosé Expérience, extra brut, Champagne André Jacquart, Frankreich, Champagne, Côte des Blancs, Vertus und Le Mesnil-sur-Oger (80% Pinot Noir, 20% Chardonnay, ohne Malo, Rosé de Saignée mit 24 Stunden Mazeration, 4g Dosage). Offene, fruchtige Nase, Walderdbeeren, Pfirsich, Gräser, Erde, darüber feuchter Stein, florale Töne, verspielt. Im Gaumen cremig, mit guter Struktur, feinem Säurenerv und einer delikaten Mousse. Im Abgang langanhaltend mit rotfruchtigen Rückaromen. Ein charmanter Champagner der sowohl zum Apéro als auch als Essbegleiter eingesetzt werden kann. 90 vvPunkte.
Weiter ging’s mit dem jungen Weingut Champagne C. H. Piconnet, das erst 2014 gegründet worden ist und ganz im Süden der Champagne über ähnliche Böden verfügt, wie man sie auch im nahegelegenen Chablis findet.
NV, 3 Cépages, Champage C. H. Piconnet, Frankreich, Champagne, Côte des Bar, Neuville-sur-Seine (Basisjahrgang 2016, 40% Pinot noir, 25% Chardonnay, 35% Pinot blanc, 0g Dosage) Komplexe Nase, reife Frucht, weisse Blüten, Pfirisch. Im Gaumen gradlinig, klar und rein, sehr direkt, knochentrocken, markante Säure, lebendig und mit delikaten Mirabellenaromen im Abgang. Schlank und knackig, sehr frisch. 91 vvPunkte.
2015, Les Vignes de Charles, Champagne C. H. Piconnet, Frankreich, Champagne, Côte des Bar, Neuville-sur-Seine (40% Pinot noir, 25% Chardonnay, 35% Pinot blanc, ein Rosé d’Assemblage, bestehend aus 20% Rotwein [in Eiche ausgebaut] und 80% Weisswein [im Edelstahl ausgebaut]) Sehr intensives Rosa. In der Nase viele Himbeeren, etwas Eisbonbon, Blutorangen, Brotrinde. Im Gaumen rund und weich im Auftakt, wird dann immer schlanker, frischer, die weissen Trauben nehmen überhand, der Wein hat Zug und viel Frische, zeigt Harmonie und im Abgang einen Mix aus delikater Frucht und feiner Würze. Sehr animierend und präzis! 90 vvPunkte.
Die nächste Station war Champagne A. Lamblot. Alexandre Lamblot, 1987 geboren, produziert hier auf lediglich 3.8 Hektaren, die sich auf die Gemeinen Vrigny, Gueux, Janvry, Chenay, Savigny und Ardres verteilen, Champagner, die alle «à la volée» degorgiert werden. Diese heute nur noch selten angewendete Methode, bei der man die Weine manuell und mit Schwung vom Hefesatz trennt, ist aufwändig und bedingt viel Erfahrung.
NV, Intuition, Champagne A. Lamblot, Frankreich, Champagne, Montagne de Reims (Basisjahr 2017, 22% Pinot noir, 12% Chardonnay, 66% Meunier, 0g Dosage) In der Nase mit reifer Zitrone, Kräutern, Fenchelsamen, Kekse. Im Gaumen straff, mit markanter Säure, wird dann im mittleren Gaumen immer cremiger, zeigt eine reife Frucht, und viel Energie, wirkt fast etwas ungestüm und noch jugendlich, hat jedoch eine gute Balance. Kann reifen. 90 vvPunkte.
NV, Mouvance, Champagne A. Lamblot, Frankreich, Champagne, Montagne de Reims (Basisjahr 2017, 33% Pinot noir, 33% Chardonnay, 34% Meunier, 0g Dosage) Steinig-kühle Nase, dezent rauchige Noten, Apfel, Bitterorangen. Im Gaumen gradlinig, schlank, gnadenlos in der Säure, diese ist messerscharf, verleiht dem Wein Rasse, hält diesen trotz viel Druck ungemein frisch. Elegant, langanhaltend und mit zitrischen Rückaromen. 91 vvPunkte.
Rata du René, Champagne A. Lamblot, Frankreich, Champagne, Montagne de Reims (100% Pinot noir, mit hauseigenem Champagner-Brand gesprittet, 18% Alkohol, 117g Zucker pro Liter). Oxidative Nase, deutliche Sherrynoten, reife, rote Beeren, Melasse. Im Gaumen kräftig, süss, der Wein hat Schmelz und Volumen, besticht im Gaumen mit viel Druck und einer fast schon betörenden Aromatik im Abgang, endet auf getrocknete Feigen. Man muss diesen Weinstil natürlich mögen, qualitativ ist das jedoch sehr gut. 91 vvPunkte.
Elise Bougy hat das Glück, Trauben in einer der bekanntesten Lage der Champagne namens «Les Chétillons (genauer Le Chétillon de Haut) kultivieren zu dürfen. Diese Parzelle liegt in umittelbarer Nähe des Clos du Mesnil, wo mitunter die teuersten Champagner der Welt entstehen. Elise arbeitet biodynamisch und verzichtet weitgehend auf die Zugabe von Schwefel. Was im Glas steht, ist an Reinheit kaum zu überbieten.
NV, Le Chétillon de Haut, Champagne Elise Bougy, Frankreich, Champagne, Côte des Blancs, Le Mesnil-sur-Oger (Der 2018er ist der erste Jahrgang von Elise, 100% Chardonnay, in Eiche und Edelstal ausgebaut, 0g Dosage) Die Naseist Chardonnay pur, frisch, verspielt, mit grünem Apfel, weissen Blüten, Weissbrot, frischen Kräutern, sehr komplex und sich mit Luft immer wieder verändernd. Im Gaumen gradlinig, wild, charaktervoll, sehr frisch, mit delikater Frucht, die von einer unaufdringlichen Säure unterlegt ist. Ungemein finessenreich und lang im Abgang. Sehr gelungen, kann reifen. 92 vvPunkte.
NV, Le Mont Chainqueux, Champagne Elise Bougy, Frankreich, Champagne, Montagne de Reims, Les Mesneux (Basisjahr ebenfalls 2018, 50% Pinot noir, 50% Meunier, 0g Dosage, ohne dazugegebenen Schwefel abgefüllt) Reiffruchtige Nase, mit Pflaumen, Dörrapfel, Walderdbeeren und Kreuzkümmel. Im Gaumen frisch, knackig, sehr delikate Frucht, feine Perlage, der Wein wirkt klar und rein wie ein Bergbach, verfügt über Energie und eine wunderbare Finesse, hat Klasse und Rasse, hallt lange nach. Ein Hit! 93 vvPunkte.
Und dann kamen noch zwei Weine ins Glas, die mich sprachlos machten. Grosse Weine, riesige Weine. Hervé Jestin produziert mit Unterstützung seines Bruders Yann nach biodynamischen Methoden nur zwei Weine, doch diese stellen so ziemlich alles in den Schatten, was ich bisher verkosten durfte. Für den Jestin erhält Hervé das Traubengut von drei nicht ganz unbekannten Biodynamikern, welche bei Jestin lernen durften: David Léclapart, Georges Laval und Benoît Lahaye. Den Clos de Cumières erwarben Hervé und Yann vor einigen Jahren, eine nur 0.5 Hektar kleine Monopollage, die einen himmlischen Schaumwein hervorbringt.
2009, Jestin, Champagne Jestin, Frankreich, Montagne de Reims & Vallé de la Marne (25% Pinot noir, 50% Chardonnay, 25% Meunier, die Trauben stammen aus Ambonnay, Trepail und Cumières, 10 Jahre Hefelagerung, biodynamisch produziert, nur 28 mg Schwefel). Wow, was für eine Nase, zitrische Noten, Quittengelée, Kräuter, Currywürze, Curcuma, Rauch, Stein, Gewürzbrot, Nelken, Lorbeer, ein Gedicht. Im Gaumen cremig und weich, ein Mund voll Wein, ungemein charmant, reiffruchtig, voluminös und dennoch mit bestechender Finesse, baut immer mehr Druck auf, umgarnt die Zunge mit feinster Frucht, gestützt von einer top Säurestruktur, das ist nicht nur sehr gut, das ist ausgezeichnet! 97 vvPunkte.
2012, Clos de Cumières, Champagne Jestin, Frankreich, Vallé de la Marne, Cumières (50% Pinot noir, 50% Chardonnay aus einer Monopollage in Cumières, biodynamisch produziert). Und gleich nochmals so eine Nase, man möchte Eintauchen, darin ein Bad nehmen… Reifer Apfel, dezente Hefenote, Malz, Nüsse, Thymian-Kräuter, Kümmel, florale Aromen, Gänsehaut ist hier vorprogrammiert. Im Gaumen dicht und konzentriert, zwei Mund voll Wein und doch kein Gramm Fett, der Wein hat eine sehr feine Mousse, zeigt viel Cremigkeit und Struktur, hat ungemein viel Charme und eine Präzision, die seinesgleichen sucht. Das ist ein Ausdruckstänzer höchster Klasse. Zum Niederknien. Big, big Wine und ich schliesse nicht aus, dass hier in einigen Jahren die absolute Perfektion im Glas steht. 98-100 vvPunkte.
Interessanter Hinweis, vielen Dank. Gibt es bei LeBulles einen Rabatt, wenn man sich auf vvwine bezieht?
Liebe Katarina, die Les Bulles sind ein Start-up, brauchen Unterstützung und geben leider keinen Rabatt. Die Qualität der Weine ist jedoch ausgezeichnet. Herzlich, Adrian