1973
Den eigenen Geburtsjahrgang in Form von Wein zu sich zu nehmen ist nicht unbedingt einfach. Je nach Jahrgang ist das entweder ein riesiger Spass, oder eben eine Angelegenheit, in die generell wenig Hoffnung auf Genuss bietet. Mein Tipp vorne weg: Man sollte früh genug damit beginnen, sich quer durch die Provenienzen zu trinken, um allfällige Höhenflüge nicht zu verpassen. Nötigen Sie also Ihr Kind schon bei seinem 18 Geburtstag dazu, damit anzufangen. Es wird ihnen später dankbar dafür sein.
In meinem Fall ist es das Jahr 1973 – ein generell eher denkwürdiges Jahr, wie in den Geschichtsbüchern zu lesen ist. Schliesslich war es auch nicht überall 1973. Denn laut dem Byzantinischem Kalender war es das Jahr 7481 und wenn es nach dem Minguo-Kalender ginge, erst das Jahr 62 und in China war es das Jahr der Wasser-Ratte. In den USA aber war es das Jahr der Watergate-Affäre. Die Niederlande und die DDR anerkennen sich gegenseitig. England wird Vollmitglied der EU (das diesjährige Jubiläum fällt ins Wasser). Griechenland wird zur Republik, John Paul Getty wird in Rom entführt. Dabei wird ihm ein Ohr abgeschnitten, weil sein Grossvater, der Multimilliardär Paul Getty, die 3.4 Millionen Dollar Lösegeld nicht zahlen will. In Laos wird erfolgslos geputscht. Kissinger wird Aussenminister der USA. In Chile wird mit Hilfe der USA geputscht und Pinochet kommt an die Macht. In Argentinien wird Juan Peron zum Präsidenten seine Frau Maria Peron zur Vizepräsidentin gewählt. Ägypten und Syrien greifen auf den Golanhöhen Israel an. Der US-Vizepräsident muss wegen Bestechungsvorwürfen und Steuerhinterziehung zurücktreten (dazumal schien das Rechtssystem, im Gegensatz zu heute, zu funktionieren). Im Oktober beginnt die erste Ölkrise und in Spanien bombt die ETA den spanischen Ministerpräsidenten in die Luft. Die Liste von üblen Taten und schlechten Menschen ist wirklich lang und auch andere Katastrophen waren nicht wenige. Flugzeugabstürze gab es wirklich, wirklich viele.
Auch weintechnisch gesehen gab es nicht viel Positives. Denn das Motto «viel hilft viel» brachte nicht wirklich viel Gutes hervor. Die paar Bordeaux, die ich probieren durfte, buchte ich allesamt unter der Kategorie «spannendes Erlebnis» ab. Mouton, Ausone, Cheval-Blanc, das alles sind grosse Namen mir entsprechendem Renommee. Sie waren für ihr Alter ok, aber auch nicht die Offenbarung. Das dafür ausgegebene Geld hätte man besser in eine Kiste hiesigen Pinot gesteckt. Aber eben, man hat es 1x im Leben gemacht und gut ist. Ok, die Millennials haben es da deutlich besser und alles was nach 2000 auf die Welt kam und das sechzehnte Lebensjahr vollendet hat, darf sich freuen, denn seither gab es in Bordeaux kaum mehr richtig schlechte Jahre.
Doch 1973 gab es auch Positives. So ist zum Beispiel sind Seth MacFarlane, MC Ferris, Paul Walker, Dave Chappelle, Peter Forsberg, Christian Vieri, Juliette Lewis, Tori Spelling, Larry Page, Haakon von Norwegen, Martin Rapold, Nadja Schildknecht und eben meine Wenigkeit auf die Welt gekommen. Jackie Steward wird zum dritten und letzten Mal Formel-1 Weltmeister, George Foreman wird Weltmeister im Schwergewicht, Bayern München wird zum vierten Mal Deutscher Fussballmeister (in der Schweiz war es der FC Zürich). In Deutschland wird die «einfache Pornografie» für Erwachsene freigegeben. AC/DC wird gegründet, das Musical «The Rocky Horror Show» hat in London Premiere und Pink Floyd veröffentlicht das legendäre Album «The Dark Side of the Moon». Die Raumsonde Pioneer 10 erreicht den Jupiter, die dentrischen Zellen wird entdeckt (die sind wichtig für das Immunsystem). Der Geldautomat wird patentiert. Das erste Gespräch über ein Handy wird geführt, das World Trade Center in NY wird eröffnet, der Vietnamkrieg geht zu Ende, die US-Truppen ziehen ab und der Eisvogel wird Vogel des Jahres 1973 (in der Schweiz war der Vogel des Jahres 2020 übrigens der Neuntöter). Passender hätte es nicht kommen können.
In der Zwischenzeit ist viel passiert. Fast alle Rapper, die 1973 auf die Welt kamen, sind heute nicht mehr am Leben, ganz im Gegensatz zu den meisten Sportlern. Es gab viele weitere Untaten und auch viele neue, bahnbrechende Erfindungen, haben unser Leben vereinfacht. Auch Weintechnisch hat sich seitdem sehr vieles verbessert und die Weinqualität ist heute besser als je zuvor.
47 Jahre später, im Jahre 2020, mühte sich aber immer noch einer ab, etwas Trinkbares aus diesem Unjahr zu finden; etwas, das wirklich noch Trinkspass bieten kann. An und für sich eine bekloppte Idee, da es doch heuer so viel Gutes zu trinken gibt. Auf Facebook fand ich dann einen, der drei Flaschen 73er Rioja Alta Reserva 904 für 6o€ pro Flasche angeboten hat. Ich beschloss, noch einen letzten Versuch zu starten und erstand eben eine dieser Flaschen, welche ich umgehend zum Chef spedierte, um diese dann zusammen mit ihm und seiner lieben Melanie, die im selben Jahr auf die Welt gekommen ist, zu verkosten.
Zugegeben, die Hoffnung war auch nicht besonders gross und so blieb die Flasche monatelang im Klimaschrank liegen bis es die Tage endlich soweit war. Der Durand erfüllte seinen Zweck wie immer meisterlich und der Inhalt der Flasche wurde umgehen in eine kleine Karaffe dekantiert. Der Chef schnupperte daran: «kein Kork» kam die Erfolgsmeldung vom anderen Tischende. Tschäckpott und die Vorfreuden stiegen ein wenig höher und der Puls schlug ein wenig schneller.
Aber ich möchte Sie, werte Lesende, nach dem langen Intro nicht noch länger auf die Folter spannen. Das was da im Glas war, kam für uns alle am Tisch doch merklich unerwartet. Der Rioja hat sich über die Jahrzehnte hervorragend gehalten. Glasklar, ohne jede Trübstoffe stand er da. Ein wunderbares Altwein-Erlebnis kam mit malzigem Duft und einer schönen Erdbeerkompott-Note zutage. Da war immer noch Frucht wahrnehmbar, getragen von einer angenehmen Säurestruktur, die dem Wein eine schöne Balance verlieh. Hin und weg waren wir. Ja – wahrlich begeistert, dass wir sowas überhaupt erleben durften. Der Dank an dieser Stelle geht an D. Hiller aus Wien, der diesen Schatz gefunden und ihn mir für 60€ verkauft hat. Grande!
Das Kapitel «die Suche nach trinkbaren 73ern» ist nun abgeschlossen und ich habe den Frieden, auf den ich so lange gewartet habe, endlich gefunden. Sollten Sie allerdings noch 73er im Keller liegen haben, dürfen Sie den uns gerne spenden. Eventuell gibt es sie doch noch: Die eine oder andere Überraschung.
Alle Fakten zum Jahr 1973 findet man hier auf Wikipedia.
Something relevant, important and positive : 1973 was the second largest harvest of the century in Champagne ! Productivity exceeded the industry’s already generous forecasts and the quality of the grapes was highly satisfactory though not worthy of superlatives. Musts with an average ABV of 9-10% and a respectable acidity of 7.5g/l H²SO4 promised well-structured Champagne wines with a bright future.
Danke für den Input! Gemäss meiner Info ein Hitzesommer, mit Regen kurz vor der Lese und wie du sagst, viel Ertrag. Die hohe Traubenreife führte zu eher tiefen Säuren, was die 1973er Grundweine fruchtig, voll und recht harmonisch machte und zu fülligen aber harmonischen Champagnern führte. Allerdings fehlte für die „Langstrecke“ etwas die Säure, was den 1973er als „Jahrgangswein zum 50sten“ eher schwierig macht. Wir sind natürlich offen für den Gegenbeweis 😉
Sehr schöne Exkursion ins (Wein-) Jahr 1973.
Bin schon seit geraumer Zeit daran, etwas ähnliches für 1967 zu formulieren. Alleine, mir fehlt der Wein dazu. Aktuell habe ich es immerhin bis 1969 geschafft, aber ich bleibe dran. Zumindest liegen einige Flaschen der Jahrgänge meiner Kinder (2005 und 2008) bereits im Keller. Aus Gründen…
Grüße, Uli aka der WeinSpion