Broger: 10 Jahre ohne Schwefel aber mit viel Dynamik.
Seit dem Jahr 2007 produziert Michael Broger regelmässig mindestens ein Fass eines ungeschwefelten Blauburgunders. Wie er in seiner Einladung zur 10-Jahres-Vertikalen schrieb, «seinerzeit nicht einem Trend folgend, sondern aus persönlicher Neugier und etwas oenologischem Leichtsinn…»
Das war mutig, denn sämtliche offiziellen Stellen prophezeiten ihm ein rasches Kaputtgehen dieser Weine, denn das Schulbuch sagt: Ohne Schwefel, kein haltbarer Wein. Doch Michael Broger liess sich nicht beirren, fügte jedoch in den ersten Versuchsjahren noch ein paar Milligramm des ominösen Schwefels zu, «wohl eher um das Gewissen zu beruhigen», wie er mit einem Schmunzeln erzählte. Doch mit den Jahren wurde er mutiger. Hatten die 2007er bis 2011er noch zehn Milligramm bekam der 2012er noch deren 5 und seit dem Jahrgang 2013 ist der Wein zu 100% frei von zugesetztem Schwefel.
Michael bezeichnet seine Weine mit «broger-dynamisch», weil er nach biodynamischen Prinzipien arbeitet aber nicht offiziell zertifiziert ist. Sein Wein, der ohne zugesetzten Schwefel abgefüllt wird, ist ein reiner Blauburgunder, der wenn immer möglich aus der gleichen Lage stammt. Die ersten fünf Jahre nutzte Michael Broger eine Parzelle, für welche er dann leider die Pacht verloren hat. Seither keltert er den Wein aus einer Lage, die quasi ein gewolltes Patchwork aus Stöcken und Klonen ist: alte und junge Reben, lockerbeerige und engbeerige Klone. So diversifiziert er einerseits das Risiko und stellt andererseits sicher, dass kein Klon bezüglich Aromatik dominiert.
Gearbeitet wird – wie oben beschrieben – nach nicht offiziell zertifizierten aber nicht minder biodynamischen Prinzipien. Dabei spielt der Mond natürlich eine wichtige Rolle, wobei Broger mit Schalk betont, dass «auch wenn der Mond gerade richtig steht, nicht bei Regen geerntet wird».
Die Ernte findet relativ früh statt, so dass man lieber etwas zu knapp reifes als überreifes Traubengut in den Keller bringt. Vergoren wird spontan in der Eichenstande, nachdem die Maische eine kurze Standzeit durchlaufen hat. Die Maische enthält immer einen gewissen Anteil Traubenstiele, deren Tannin gemäss Broger den fehlenden Schwefel im Wein zum Teil kompensiert.
Auch lebt Broger bewusst mit einer natürlichen Oxidation, die sich, wenn man den Wein im Winter in Ruhe lässt, während einem hitzigen und entsprechend schnellen biologischen Säureabbau (BSA) in den Sommermonaten wieder «erholt». Umgezogen wird der Wein, der im gebrauchten Doppelbarrique ruht, während dem ganzen Prozess nicht. Nach weiteren rund zwei Monaten werden Feinhefen und Trubstoff im Wein nochmals leicht aufgerührt, so dass jede Flasche etwas davon abbekommt. Es versteht sich von selbst, dass die Weine ungefiltert auf die Flasche gezogen werden. Das vor allem bei jungen Weinen merklich spürbare Co2 wirkt während der Flaschenreife wie ein natürlicher Schutzschild gegen die Oxidation.
Die Verkostung: Ein eindrückliches, dynamisches Erlebnis.
Den 2013er konnte ich im Rahmen meines Besuches bei Michael schon im Herbst 2018 probieren und war von seiner Qualität sehr angetan. Die damalige Verkostungsnotiz findet man hier. Die Vertikalprobe setzte sich nun aber aus 10 Jahrgängen zusammen. Wie schmecken also diese Weine? Und vor allem: Wie reifen sie? Soviel vorweg, die Weine hielten sich erstaunlich stabil. Die Degustation machte mir persönlich viel Freude und zeigte eindrücklich, wie lebendig die Weine sind. Selten habe ich Weine probiert, die sich so oft und schnell im Glas verändern. Einen solchen Wein zu geniessen heisst zwangsläufig, sich auf eine Reise einzulassen. Fast jeder der Weine durchlief in dieser rund einstündigen Probe mehrere Male stärkere und schwächere Phasen. Und als Kinder ihres Jahrgangs erzählten sie auch eindrücklich ihre Geschichte. Meine Notizen sind eine bestmögliche Zusammenfassung meiner Eindrücke, die, gerade im Falle dieser lebhaften – um nicht zu sagen «hyper-dynamischen» Weine – nur einen Bruchteil dessen widergeben, was in ihnen steckt.
2007, Broger-dynamisch, Broger Weinbau, Ottoberg, Thurgau, Schweiz (100% Pinot Noir). Reife Nase, etwas staubig, anfangs muffig, wirkt sehr weit entwickelt, dreht mit etwas Luft auf, zeigt kühle Rauchnoten und Sauerkirschen. Im Gaumen ebenfalls deutlich gereift, mittlere Intensität, die Frucht wirkt etwas müde, eine markante Säure stützt noch, die Gerbstoffe sind noch leicht wahrnehmbar, wirken leicht trocknend. Im Abgang endet der Wein eher kurz aber in sich stimmig auf Sauerkirschen. Austrinken. 17 vvPunkte (87/100).
2008, Broger-dynamisch, Broger Weinbau, Ottoberg, Thurgau, Schweiz (100% Pinot Noir). Offene Nase, weniger muffig, zeigt ebenfalls eine gewisse Reife, viele Weihnachtsgewürze, Kirschen, Pflaumen, dazu Tee, mit mehr Luft auch Anflüge von Maggikraut. Im Gaumen weich und mit schöner Fülle, die Frucht ist noch deutlich präsenter als beim 2007er, auch hier dominiert die Säure die Struktur, diese wirkt etwas besser eingebunden als beim 2007er, der Wein hat Zug, Frische, endet ebenfalls auf Sauerkirschen und etwas Blutorangen. Ist auf dem Peak, hat jedoch noch einige Jahre Reserven. Jetzt bis 2022, 17.5 vvPunkte (88/100).
2010, Broger-dynamisch, Broger Weinbau, Ottoberg, Thurgau, Schweiz (100% Pinot Noir aus einem kühlen, schwierigen Jahr. Der Wein war gemäss Broger in seiner Jungend «untrinkbar» – man hat ihn schon fast abgeschrieben, doch was hier im Glas stand, hat mich positiv überrascht). Anfangs verhalten, mittlere, aromatische Intensität, neben Kräutern auch eine leicht käsige Note, eingemachte Früchte, öffnet sich mit Luft mehr und mehr, eine dezent animalische Note schwingt mit, wird mit jeder Minute rotfruchtiger, zeigt Himbeeren, Stachelbeeren, ein durchaus komplexes Nasenspiel. Im Gaumen schlank, frisch, knackig, sehr feine, rote Frucht, gut eingebundene Gerbstoffe und eine wunderbare Säure, eher schlank jedoch mit nerv und biss, endet angenehm langanhaltend auf eine leichte Bitternote. Auf dem Peak jedoch dank der Säure mit gewissen Reserven. Gefällt mir heute ganz gut. Jetzt bis 2023, 17.5 vvPunkte (89/100).
2011, Broger-dynamisch, Broger Weinbau, Ottoberg, Thurgau, Schweiz (100% Pinot Noir). Frisch, rotfruchtig, mit getrockneten Kräutern, Gräsern, verführerischer Duft, mit mehr Luft kommen Noten von angekohltem Holz zum Vorschein. Im Gaumen weich und zugänglich, hat deutlich mehr Speck auf den Rippen als der 2010er, die Frucht wird von einem ausgewogenen Säure-Gerbstoff-Gerüst in Schach gehalten, ungemein würzig, lebendig und mit viel Energie ausgestattet endet der Wein saftig, knackig und langanhaltend. Ein wunderbarer Pinot. Jetzt bis 2025, 18 vvPunkte (91/100).
2012, Broger-dynamisch, Broger Weinbau, Ottoberg, Thurgau, Schweiz (100% Pinot Noir). Tiefe, rauchige Nase mit einem Mix aus dunklen und roten Fürchten, Gewürzen, wirkt bereits etwas weiter entwickelt als der 2011er, strahlt mehr Kühle aus als dieser. Aromatisch kommen mit Luft deutliche Noten von an Kräuterspeck dazu. Im Gaumen straff, da ist einige an Druck mit im Spiel, die Gerbstoffe sind bereits gut eingebunden, die Frucht wirkt hier allerdings etwas dumpf. Im Abgang weniger lang und expressiv als 2011 oder 2010. Kann noch etwas reifen. 2020-2024+, 17.5 vvPunkte (89/100).
2013, Broger-dynamisch, Broger Weinbau, Ottoberg, Thurgau, Schweiz (100% Pinot Noir). Anfangs dezente Reduktion, öffnet sich dann schnell, wird feinduftig, floral, kräuterig, verführerisch, mit dieser unbeschreiblichen, «schwefelfreien Note», sauber, rein und klar, ein Mix aus Kirschen aber auch dunklen Beeren, ein herrliches Parfum. Im Gaumen schlank und sehr direkt, rotfruchtig, mit markanter Säure und bereits gut eingebundenen Gerbstoffen, das hat Zug und Frische, fordert die Papillen, offenbart im Abgang eine herrliche Länge mit Aromen von roten Johannisbeeren und viel Würzigkeit. Dieser Pinot gefällt mir sehr gut. Jetzt bis 2026+, 18.5 vvPunkte (92/100).
2014, Broger-dynamisch, Broger Weinbau, Ottoberg, Thurgau, Schweiz (100% Pinot Noir). Etwas reduktiv, dunkelfruchtig, viel gekohltes Holz, auch etwas Gummireifen. Im Auftakt weich, fast harmlos, breitet sich dann aus, zeigt bereits eine entwickelte reife, die Gerbstoffe sind moderat, die Säure verleiht Struktur, was gefällt ist die Saftigkeit, jedoch schwingen auch etwas grünliche Töne mit. Endet aromatisch deutlich weniger komplex als 2013 oder 2011. Solide für ein schwieriges Jahr. 17.5 vvPunkte (88/100).
2015, Broger-dynamisch, Broger Weinbau, Ottoberg, Thurgau, Schweiz (100% Pinot Noir). In der Nase erst speckig, käsig, laktisch, deutlich dunkelfruchtig, reife Kirschen, Blaubeeren, entwickelt sich enorm im Glas, wird immer offenherziger mit einer fast schon exotisch anmutenden Frucht und einer noblen Würze, keinerlei Holzdominanz. Im Gaumen straff, gradlinig, sehr sauber und mit einer jahrgangstypischen Üppigkeit, die jedoch durch die knackige Säure gepuffert wird. Die Gerbstoffe sind reif, fein gewoben, der Wein zeigt Zug, Frische und viel Charakter, ein herrliches Mundspiel, endet im Abgang sehr langanhaltend auf einen Mix aus roten und dunklen Beeren. Wow, ein grandioser Pinot der mit mehr reife vielleicht noch etwas zulegen kann. Jetzt bis 2028, 18.5+ vvPunkte (93+/100).
2016, Broger-dynamisch, Broger Weinbau, Ottoberg, Thurgau, Schweiz (100% Pinot Noir). In der Nase verhalten aber tiefgründig, dunkle Frucht, florale Noten, wirkt noch sehr verschlossen jedoch super rein, deutet seine Komplexität erst umrissartig an, will noch schlummern. Im Gaumen straff, sehr gradlinig, knackig und klar, ungemein intensiv in der Frucht, mit top Säure und einem markanten Gerbstoffgerüst ausgestattet, das hat Druck, Rasse und viel Energie, ein Wein der zupackt und dann nicht loslässt. Endet im Abgang lang und ausgewogen. Noch 1-2 Jahre Kellerruhe, dann geht hier die Post richtig ab. Diesen Wein ab 2021 neben dem 2015er zu probieren, werde ich mir nicht entgehen lassen. 2021-2030, 18.5+ vvPunke (93+/100).
2017, Broger-dynamisch, Broger Weinbau, Ottoberg, Thurgau, Schweiz (100% Pinot Noir). Feinduftige Nase, floral und verführerisch mit Rosen, Veilchen, dann auch Lakritze sowie Anflüge von Himbeer-Konfitüre. Im Gaumen zugänglich und schmeichelhaft, das ist ein wahrer Charmeur, verheimlicht eine gewisse Wärme nicht, zeigt aber auch knackige Frucht, mittlerer Körper, sehr gute Tanninqualität, saftige Säure. Fast zu schön, so dass man ihn jetzt schon trinken möchte, baut mit Luft aber ebenfalls aus, wird komplexer und vor allem würziger. Zeigt nicht ganz die Struktur und Dichte von 2015 und 2016, ist für die mittlere Reife gebaut. Dürfte in 2-3 Jahren in ein optimales Tinkfenster kommen – doch wer weiss? 2021-2027, 18 vvPunkte (90/100).
Mein Fazit: Trotz minimer respektive ab dem Jahrgang 2013 keiner künstlichen Schwefelzugabe mehr, reifen die Weine hervorragend. Abgesehen von einem etwas müden 2007er standen alle Weine sehr gut im Glas. Neben der aromatischen Frische erstaunten auch die durchwegs gut erhaltenen Farben, von brauner Suppe war da weit und breit nichts zu sehen.
Was ebenfalls gut gefiel waren die durchwegs tiefen Alkoholgrade, welche einer eher frühen Lese geschuldet sind. Zusammen mit der reinen Frucht und der markanten Säurestruktur präsentieren sich die Broger-dynamisch Weine stets saftig und frisch mit einer grossen inneren Ruhe und viel Ausgewogenheit. Ab sofort gehört dieser Wein zu meinen jährlichen Must-Buys. Broger-dynamisch ist zweifelsohne ein Stück Schweizer Pinot-Geschichte. Danke Michael für diese Idee, deinen Durchhaltewillen und diese super spannende Degu!
PS: Einen sehr lesenswerten Bericht zur gleichen Verkostung findet man bei Victorsweinblog.
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