Broger: wenig Schwefel, viel Herzblut.
Ich besuchte Michael Broger im September 2018. Allerdings war es ein ungünstiger Zeitpunkt, denn Michael und seine erst seit kurzem bei ihm angestellte Winzerin Carmen, waren mitten in der Ernte und entsprechend auch mit Kellerarbeiten beschäftigt. Dennoch nahm sich der leidenschaftliche Winzer Zeit für mich; viel Zeit sogar, denn Michael Broger hat zu fast jedem Wein und Vinifikations-Prozess eine eigene, interessante Geschichte zu erzählen.
Michael begann seine Winzer-Karriere mit einer Lehre zum Weintechnologen. Er sammelte bei unterschiedlichen Betrieben erste Erfahrungen im Rebbau und vertiefte sein Wissen bezüglich Weinbereitung an der Fachhochschule in Wädenswil sowie während einer Weiterbildung im FIBL in Frick. Nachdem er mehrere Jahre bei Hans-Ulrich Kesselring auf dem Schlossgut Bachtobel mitgewirkt hat, beschloss er um die Jahrtausendwende, nach einem Aufenthalt in Neuseeland, seinen Traum vom eigenen Weingut umzusetzen.
Dieser Traum bricht mit so ziemlich allem, was Broger in der Vergangenheit gelernt hatte. Denn Michael ist ein Querdenker, ein Visionär, für manche vielleicht auch ein «Enfant terrible». Doch sind es nicht genau diese Menschen, welche die Dinge zum Positiven verändern können? Ich musste während meinem Gespräch mit Broger immer wieder an den Think Different Spot von Apple denken. Irgendwie passt dieses kleine Werbe-Meisterwerk so wunderbar zu ihm.
Im Weinberg setzt Michael konsequent auf Broger-Dynamik. Das ist eigentlich wie Bio-Dynamik, einfach ohne Zertifikation. Er arbeitet im Einklang mit der Natur, verzichtet auf chemische Spritzmittel und verlangt seinem viel zu klein dimensionierten, organisch gewachsenen Keller und seinen nieder-technologischen Hilfsmitteln viel ab. Er lotet Grenzen aus, experimentiert, nimmt Rückschläge in Kauf und geht, was die Zugabe von Schwefel betrifft, ans Limit. «In Wädenswil» sagt er «da lernt man, dass man der Maische spätestens nach 12 Stunden Schwefel zugegeben muss. Meine Pinot Noir Weine sehen erst nach zwölf Monaten zum ersten Mal ein klein wenig Schwefel.». Und dennoch schmecken sie – ausserordentlich gut sogar.
Broger füllt auch einen Wein ab, der ganz ohne künstlich zugefügten Schwefel auskommt. «Broger dynamisch» heisst dieser und der gemeinsam verkostete 2013er bewies an diesem Nachmittag eindrücklich, dass auch ein nicht geschwefelter Wein nach fünf Jahren wie eine Eins im Glas stehen kann; da war keine Spur von Alterschschwäche oder gar Oxidation festzustellen!
Im Keller von Broger herrscht ein Mikroklima, das mich ein wenig an meinen Besuch bei Henri Bonneau erinnerte. Es hat Spinnweben an den Wänden, es wirkt alles wild und chaotisch, manche würden es sogar dreckig nennen, doch die Luft, die ich dort einatmen durfte, wirkte ungemein rein und gesund auf mich. Hier kann eigentlich gar kein schlechter Wein entstehen, dachte ich mir, und machte mich zusammen mit Michael an die Verkostung seiner Weine.
2017, Müller-Thurgau Ottenberg, Broger Weinbau, Ottoberg, Thurgau (100% Riesling-Silvaner. 7g Säure, 3g Restzucker). Helles Gelb. Frische, florale Nase nach Apfel, weissem Pfirsich und auch exotischen Früchten. Weicher Auftakt, viel Schmelz, schöne Textur, deutliche Süsse, diese ist aber nicht klebrig, die Frucht wirkt reif, zeigt neben etwas atypisch wirkenden, exotischen Frucht-Aromen auch Zitrus und Apfelnoten, dazu dezent Kräuter. Im Abgang von guter Länge. Jung und kühl geniessen. 17.5 vvPunkte (88/100).
2016, Müller-Thurgau Ottenberg, Broger Weinbau, Ottoberg, Thurgau (100% Riesling-Silvaner. 7.5g Säure, 4.5 Restzucker). Feine, florale Nase, weisse Blüten, würzige Noten, Gräser, Apfel, Zitrusfrüchte. Weicher Auftakt, füllig aber nicht plump, die Süsse ist gut eingebunden, der Wein wirkt frisch und durchaus elegant, in sich stimmig und mit schöner Saftigkeit. Im Abgang mit Zuckerschwänzchen. Jung und kühl geniessen. 17 vvPunkte (87/100).
2017, Weissherbst, Broger Weinbau, Ottoberg, Thurgau (100% Pinot Noir. 10g Säure, 9g Zucker). Zartes Lachsrosa. Feinduftig, dezent Himbeeren, etwas Johannisbeere, Anflüge von Nüssen. Kraftvoll und mit viel Frucht im Auftakt, ein ganzer Korb von Waldeerdbeeren getragen von einer markanten, ungemein knackigen Säure und gut dosiertem, sensorisch nicht so hoch wahrnehmbarem Restzucker (die 9 Gramm fühlen sich eher wie 4 bis 5 Gramm an) und kaum wahrnehmbarem Holz. Im Abgang angenehm lang, endet auf rosa Grapefruit und etwas Mandarinen. Ein beschwingter Weissherbst, ideal für die Terassse. Jetzt bis 2020 geniessen, 17.5 vvPunkte (88/100).
2017, Weissburgunder, Broger Weinbau, Ottoberg, Thurgau (100% Pinot Blanc. Der Wein wird kurz vor der Abfüllung ganz wenig geschwefelt, der ganze Vinifikationsprozess verläuft sonst schwefelfrei). Kräftiges Gelb. In der Nase sehr ausdrucksstark, aromatisch irgendwo zwischen diesem grünen Ananas-Sugus, Most-Äpfeln, Raclette-Rinde, Stroh und saurem Most, darüber schwebt eine dezente Holznote und etwas Haselnuss, sehr eigensinnig und komplex. Der Gaumen beginnt saftig, der Wein zeigt Druck und Schmelz, die ungemein dichte Frucht wird getragen von einer knackigen Säure, sehr gut Strukturiert, konzentriert und dennoch trinkanimierend, aromatisch wieder mit Apfel und etwas Ananas endet der Wein im Abgang wieder ausgesprochen saftig und hinterlässt eine dezent salzige Note. Sehr ausgewogen und stilistisch voll auf meiner Linie, ein Hit. Pures Leben, pure Energie. Jetzt bis 2024+, 18 vvPunkte (91/100).
2013, Broger dynamisch, Broger Weinbau, Ottoberg, Thurgau (100% Pinot Noir. Nur 11.7% Alkohol, ohne Schwefel vinifiziert und abgefüllt). Kräftiges Rubin, anfangs leicht reduktive, sehr tiefe Nase, diese öffnet sich mehr und mehr, zeigt rote Kirschen, dazu dunkle Beeren, Dörrpflaumen, etwas Leder und ein Hauch Kräuterwürze, sehr verspielt und ausladend. Am Gaumen beginnt der Wein straff, er ist mit einer markanten Säure ausgestattet, wirkt rotfruchtig mit Noten von Himbeeren und Johannisbeeren, gut strukturiert, leichtfüssig und mit ungemein vielen von diesen nicht wirklich beschreibbaren «Vibes» ausgestattet könnte man diesen Wein minutenlang im Mund behalten. Das macht Spass, zeigt eine faszinierende Reinheit und sehr schöne Länge. Ein Charakterwein par Excellence, bitte mehr davon! Jetzt bis 2023+ geniessen. 18.5 vvPunkte (92/100).
2017, Blauburgunder Ottoberg, Broger Weinbau, Ottoberg, Thurgau (100% Pinot Noir. Im gebrauchten Doppelbarrique ausgebaut). Leuchtendes Rubin. Rotfruchtige, frische, feinwürzige Nase mit Sauerkirschen und Brombeeren. Saftiger Auftakt, mittlerer Körper, die Frucht wirkt reif aber überreif, eine markante Säure hält ihn frisch, verleiht zusammen mit den mässig ausgeprägten Gerbstoffen eine gute Struktur. Dicht aber nicht schwer, mit Würze und Aromen von Sauerkirschen und etwas Blutorangen endet der Wein im Abgang mittellang. Zeigt trotz nur 12.1% Alkohol eine sehr schöne Retro-Aromatik. Jetzt bis 2023, 17.5 vvPunkte (89/100).
2016, Blauburgunder Schnellberg, Broger Weinbau, Ottoberg, Thurgau (100% Pinot Noir. Von einer steilen Lage die eng bestockt ist und nur mit handgeführten Maschinen bearbeitet werden kann. Der Abstand zwischen den Rebzeilen beträgt lediglich 1.6 Meter). Leuchtendes Rubin. Super reine Nase, sehr feinduftig und mit top eingebundener Barrique-Note, dezent Tabak, frisch gehackte Kräuter, Sauerkirschen, Johannisbeeren. Im Auftakt saftig und frisch, auch hier klar wie ein Bergbach, präzise Frucht, markante, fein gewobene Gerbstoffe, dazu eine top Säure, sehr elegant und mit mittlerem Körper wirkt dieser Schnellberg fast schon wie ein Chambolle-Musigny, feminin, verführerisch und mit schönem Spannungsbogen. Der Abgang ist ausgesprochen lang, lebhaft, zeigt Noten von Kirschen und Orangenzesten in der Retro-Aromatik. Was für ein herrlich ausgewogener Pinot, charaktervoll, authentisch, spannend! Hat sehr gute Reserven. 18.5+ vvPunkte (92/100).
2016, Blauburgunder Alte Rebe, Broger Weinbau, Ottoberg, Thurgau (100% Pinot Noir). Dichtes, dunkles Rubin. Die Nase ist tief, rauchig, dunkelfruchtig mit schwarzen Kirschen, Johannisbeeren, Tabak und auch etwas dunkler Schokolade, dazu florale Noten und Kräuter, sehr komplex und trotz 100% Neuholz keine «Schreinerei». Im Auftakt kraftvoll und mit viel Druck, ein Mund voll Wein, ja fast schon zwei, sehr opulent, körperreich, dicht und strukturiert, dennoch wirkt der Wein frisch und zeigt viel Eleganz. Da sind Massen an feinen Tanninen vorhanden, eine perfekt dosierte Säure stützt, Brombeeren, Leder, Weihnachtsgewürze, Holunder auch Lavendel und Kümmel, sehr komplex und charakterstark, endet ausgesprochen Lang auf dunkle Kirschen und rote Johannisbeeren. Ein wilder, eigensinniger Wein, natürlich noch ungestüm und nicht einfach zu verkosten, doch mit hervorragenden Anlagen für eine lange Reife. 2020-2030, 18.5+ vvPunkte (93/100).
Ich war, das spürt der geneigte Leser zwischen den Zeilen, sehr angetan von Brogers Weinen. Sie sind eigensinnig, haben Charakter und mögen beim einen oder anderen anecken. Doch sie sind wunderbar tief und energiegeladen – genauso wie ihr Schöpfer. Ein Mensch und seine Weine, beide erzählen Geschichten. Ich kann es kaum erwarten, schon bald wieder zuhören zu dürfen.
Die Weine von Michael Broger sind, teils sehr limitiert, direkt ab Weingut verfügbar.
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