Streifzug durch das aktuelle Spanienangebot von Gerstl
Ich gebe zu, ich habe Vorbehalte gegenüber Weinen aus Spanien. Zu viele gut gemachte aber leider auch ebenso banale Tropfen überschwemmen unser Land. Die Supermärkte sind voll von „günstigen Schnäppchenweinen“ aus Rioja, Valdepeñas, La Mancha oder Jumilla und die Konsumenten scheinen es leider nicht zu schaffen, von ihren eingetretenen (W)Einkaufs-Pfaden auszubrechen und dem Mainstream den Rücken zu kehren. Klar, auch Supermarkt-Spanier führen bei moderatem Konsum nicht zwingend zu Kopfschmerzen, sind diese doch zu 99% sauber vinifiziert und somit grundsätzlich risikolos konsumierbar. Doch zu selten findet man in den Supermärkten echte Charakterweine, die nicht nur samtig-fruchtig die Kehle runterrinnen, sondern auch zum Nachdenken anregen.
Es gibt aber auch die anderen Spanier. Die traditionellen Riojas (z.B. Vina Ardanza Reserva, Rioja Alta Gran Reserva 904, Remelluri Gran Reserva etc.) die unglaublich frischen, knackigen Weine aus der Ribeira Sacra (das ist meine absolute Entdeckung in diesem Jahr…) oder dann die tiefen, dichten und äusserst mineralischen Weine aus dem Priorat.
Der kürzlich ins Haus geflogene Prospekt von Gerstl motivierte mich dazu, diesem doch sehr bedeutenden Weinland Spanien eine weitere Chance zu geben. Schon in der Vergangenheit haben mir einige spanische Weine von Gerstl sehr gut gefallen, da diese mehrheitlich abseits des „langweiligen Mainstreams“ lagen und mich mit viel Charakter beeindruckten. So forderte ich mit einem kleinen Streifzug quer durchs aktuelle Spanien-Sortiment von Gestl meine Spanien-Vorurteile ein weiteres Mal heraus.
Gerstl Weinpassion für Spanien & Portugal, Probe-Selektion von vvWine.ch |
Ich verkostete die Weine zusammen mit einem Weinfreund und ohne Kenntnis der jeweiligen Weinpreise. Wir machten uns während der Verkostung und Beschreibung der Weine auch eine Meinung über den „fairen Preis“ jedes Weines (was darf denn so ein Wein kosten?). Im Anschluss verglichen wir unsere Preis-Einschätzung mit den von Gerstl auf seiner Homepage aufgeführten Preisen.
Soviel vorweg: fünf von sieben Weinen haben uns sehr gut gefallen und lagen preislich jeweils unter oder maximal im von uns geschätzten Preisrahmen.
2013, Valdesil, Godello „sobra lias“, Valdeorras DO |
2013, Valdesil, Godello „sobra lias“, Valdeorras DO: Mittelkräftiges Goldgelb, sehr dezente Kupferreflexe. In der Nase nach rund 1h Belüftung weisse Blüten, rosa Lilien, Rosen, reife Nektarinen, Birnen, gute Intensität und sehr einladend mit sehr guter Qualität. Am Gaumen saftiger Auftakt, knackige Frucht, wieder Pfirsich, Ananas, auch etwas weisse Johannisbeere, ausgezeichnete Saftigkeit und keinerlei Alkoholüberhang. Am Mittleren Gaumen deutlich Limetten. Der Wein hat eine sehr gute Struktur und endet angenehm lang mit einer ganz feinen Bitternote die Lust auf den nächsten Schluck macht. Gefällt mir sehr gut. Ab sofort bis 2020 (1h vor dem Genuss öffnen), 18 vvPunkte, (91/100). Wir schätzten den Wein auf 25-30 Franken. Mit seinem effektiven Verkaufspreis von 18 Franken hat dieser Wein ein grossartiges Preis/Leistungsverhältnis.
2004, Mayor El Castro, Rioja Reserva |
2004, Mayor El Castro, Rioja Reserva: Erstaunlich kräftiges Rubin, ganz leicht aufgehellter Rand und noch jugendlicher Glanz, hier würde man keinen 11jährigen Wein vermuten. Die Nase sehr sortentypisch, direkt nach dem Öffnen schon zugänglich mit Dürften von Vanille, rote und schwarze Beeren, da sind Waldbeeren, Heidelbeeren umrahmt von einer deutlichen Schokoadennote. Mit etwas mehr Zeit zeigen sich auch Anflüge von getrocknetem Leder; sehr schöne Komplexität. Am Gaumen sanft im Auftakt, reife, warme, leicht kompottartige Frucht, kräftig und mit viel Schmelz, die Gerbstoffe gut eingebunden, dazu eine dezente Säure, die Elemente in guter Harmonie. Sehr gute Komplexität und Länge im Abgang. Ein wunderschöner Rioja der den Seiltanz zwischen Moderne und Tradition grossartig meistert. Der Wein macht jetzt sehr viel Spass und hat doch noch Reserven für mindestens 10 Jahre. 18,5 vvPunkte, (93/100). Wir schätzten den Wein auf 35-40 Franken. Mit seinem effektiven Verkaufspreis von 34 Franken hat dieser Wein ein sehr gutes Preis/Leistungsverhältnis.
2010, La Senoba, Rioja |
2010, La Senoba, Rioja: Kräftiges Rubin, noch sehr jugendlich im Glanz, sehr dichte Farbe. In der Nase fruchtbetont und fast überbordend, da sind Massen an dunklen Beeren, auch Passionsfrucht, süss-sauer wirkend, dazu Weihnachtsgebäck, Lakritze auch dunkle Schokolade und Tabaknoten, sehr gute Komplexität. Am Gaumen unglaublich kräftig und vollmundig im Auftakt, da sind wieder viele dunkle Beeren, dazu Feigen und schwarze Kirschen. Die Gerbstoffe sind reif und weich, die Säure präsent aber nicht überbordend, sehr schöne Komplexität und mittellanger Abgang. Stilistisch ist dieser Wein nicht auf meiner Linie, da es von allem etwas gar viel hat, doch das ist definitiv ein sehr gut gemachter, moderner Wein. Ideal für die Gastronomie. Jetzt bis 2025+, 18 vvPunkte, (90/100). Wir schätzten den Wein auf 25-30 Franken. Mit seinem effektiven Verkaufspreis von 26 Franken hat dieser Wein ein sehr gutes Preis/Leistungsverhältnis.
2011, El Escoces Volante El Puño red, Calatayud |
2011, El Escoces Volante El Puño red, Calatayud: Dichtes Rubin, im Kern purpurfarben mit noch jugendlichem Glanz. Tiefe, noble Nase, da ist Rauch, da ist ein Hauch feuchter Karton, eine grossartige Mineralik, es riecht nach feuchtem, heissem Stein nach einem Sommergewitter auf welchem der frisch gefallene Regen rasch wieder verdampft. Mit Luft und im Burgunderglas kommen reife Himbeeren, dunkle Kirschen, Tabaknoten und Grüntee dazu, wow, das ist schon eine ausgezeichnete Komplexität. Am Gaumen unglaublich saftiger Auftakt, da sind Massen an knackigen Beeren, keinerlei Überreife, einfach nur frisch und trinkanimierend, die Gerbstoffe sind äusserst fein, die Säure präsent, verleiht dem Wein eine enorme Frische. Hier tanzen Würzigkeit und knackige Frucht um die Wette. Ein Highlight mit Länge und einer unglaublichen Finesse bis in den langen Abgang. Grossartig! Jetzt bis 2025+, 19 vvPunkte, (95/100). Wir schätzten den Wein auf 40-45 Franken. Mit seinem effektiven Verkaufspreis von 29 Franken hat dieser Wein ein schlichtweg sensationelles Preis/Leistungsverhältnis.
2013, Orto, Montsant |
2013, Orto, Montsant: Mittelkräftiges Rubin, aufgehellter Rand, sehr schöner Glanz. Offene, saubere Nase, Aromen von roten Früchten, sehr dezentes Holz, dann aber auch diese an Gummibärchen erinnernden Aromen, sauber, gut, aber nicht sonderlich komplex. Am Gaumen saftig im Auftakt, dann rasch einiges an Schmelz, wieder rote Beeren, schöne Frische. Der Wein hat eine eher leichte Struktur, die Frucht ist äusserst präzis, ansprechende Aromatik, gute Komplexität. Alles in allem ein angenehm stimmiger, erstaunlich frischer, unkomplizierter Wein mit solidem Abgang. Jetzt bis 2018, lieber etwas kühl (14-16 Grad) servieren. 16,5 vvPunkte, (84/100). Wir schätzten den Wein auf 14-16 Franken. Mit seinem effektiven Verkaufspreis von 19.50 Franken hat uns dieser Wein als einziger Tropfen nicht vollends überzeugt.
2011, Altos de Losada, Bierzo |
2011, Altos de Losada, Bierzo: Sehr dichtes Bordeauxrot, im Kern fast schwarz. Unglaublich tiefe Nase, da ist Teer, Torf, da sind Massen an dunklen Beeren, Brombeeren, Heidelbeeren auch Backpflaumen, dazu kühler Rauch, umrahmt von etwas Weihnachtsgewürzen, faszinierende Mineralik und sehr gute Komplexität. Am Gaumen straff und saftig im Auftakt, sehr konzentriert aber nicht plump sondern präzis, extrem dicht, wieder dunkelfruchtig, würzig, die Gerbstoffe noch ungestüm aber von grossartiger Qualität, die Säure stützt die Frucht, der Alkohol ist perfekt eingebunden. Da habe ich eine sehr gute Qualität und Komplexität im Glas. Im Abgang mit sehr guter Länge und viel Präzision. Ein grossartiger Wein mit Reserven für viele Jahre. Jetzt (dekantieren) bis 2030, 18,5 vvPunkte, (93/100). Wir schätzten den Wein auf 35-40 Franken. Mit seinem effektiven Verkaufspreis von 29 Franken hat dieser Wein ein ausgezeichnetes Preis/Leistungsverhältnis.
2013, Magna Vides, Ribera del Duero |
2013, Magna Vides, Ribera del Duero: Sehr dichtes Bordeauxrot, violette Reflexe. Direkt nach dem Öffnen deutlich reduktive Noten die mit viel Luft (resp. einer Kupfermünze im Glas) verschwinden. Die Nase zeigt eine schöne Frucht, da sind Brombeeren, Pflaumen, da sind würzige Noten, auch Anflüge von getrockneten Blumen, Veilchen, sehr komplex, sich ständig verändernd, sehr viel Tiefe zeigend. Am Gaumen weich und rund im Auftakt, fast harmlos wirkend, dann packen die Gerbstoffe zu, diese sind äusserst präzis, geschliffen, feinkörnig. Aromatisch mit vielen dunklen Beeren und feinen Röstaromen, unterlegt von einer grossartigen Mineralik. Der Wein ist unglaublich saftig, mit hervorragender Struktur und aktuell noch sehr ausgeprägtem Gerbstoff, jugendlich und ungestüm. Ein äusserst präziser, moderner, kräftiger aber ganz und gar nicht plumper Wein mit viel Tiefgang. Aktuell mindestens zwei Stunden in einer Karaffe atmen lassen. Kann und muss idealerweise noch 2-3 Jahre reifen. 2018 bis 2030+, 18,5+ vvPunkte, (93+/100). Wir schätzten den Wein auf 45-60 Franken. Mit seinem effektiven Verkaufspreis von 36 Franken hat dieser Wein ein sensationelles Preis/Leistungsverhältnis.
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