86 Punkte die enorm Spass machen: Prosecco Vigneto S. Biagio

Vermutlich hat jeder Weintrinker, auch wenn er sich im Innersten mit all seiner intellektuellen Kraft dagegen wehrt, Vorurteile. Vorurteile gegen eine Region, einen Weintyp oder was auch immer.

Ich gebe zu, mein Vorurteil lautet: ich hasse Prosecco. Selbst die angeblich ganz guten Vertreter, und selbst die angeblich wirklich ganz trockenen Prosecco-Weine waren mir stets zu klebrig und süss. So tat ich dieses völlig unqualifizierte aber leider durch sehr viele, am eigenen Leib erfahrene Rückschläge geprägte Vorurteil, gegenüber einem Weinhändler meines Vertrauens kund.

Ich stand bei Riegger in Birrhard an der Kasse um ein paar Flaschen zu bezahlen als wir auf das Thema Prosecco kamen. Mein Vorurteil der Süsse und Klebrigkeit wurde natürlich nicht vollkommen negiert doch man empfahl mir einen Wein von Canevel.

Der Prosecco Vigneto S. Biagio ist, das muss ich vorwegschicken, kein massentauglicher Prosecco, der aus Plastik-Kelchen geschlürft werden will und auf irgendwelchen Dachterrassen-Parties eine unverkrampfte Gruppe von Cüpli-Trinkern ins Nirvana befördert. Nein, das wäre viel zu schade!

Der Prosecco Vigneto S. Biagio ist ein Valdobbiadene Prosecco DOCG aus der sehr guten Lage Vigneto S. Biagio. Er stammt aus spät geernteten Trauben des Jahrgangs 2012 und macht eine sogenannte „Rifermentazione in Bottiglia“ durch, sprich, die zweite Gärung erfolgt nicht im Stahltank, sondern in der Flasche.

Wer nun aber eine Champagner-Nachahmung erwartet liegt wieder falsch. Der Prosecco Vigneto S. Biagio ist ein Wein. Ein sehr spezieller Wein sogar. Lediglich 11% Alkohol, knochentrocken und leicht trüb.

Vielleicht geht man besser an ihn ran, indem man an einen Chasselas Non-Filtré vom Neuenburgersee denkt. Und man sollte sich dabei von allem anderen Lösen, was man bisher in Sachen Schaumwein im Glas hatte. Und am besten lässt man dann auch gleich die Punkte-Vergabe weg, denn die Punkte machen diesen Wein nicht fassbar.

Er präsentiert sich hellgelb und dezent milchig-trüb im Glas. Er ist nur leicht „Frizzante, hat also keine wirkliche Perlage, sondern fein prickelnde Kohlensäure.

In der Nase feinduftig, zart mit eindeutigen Aromen von Safran. Safran! Wie wenn mir der heisse Dampf eines zart gewürzten und frisch servierten „risotto al zafferano“ in die Nase steigen würde, wunderbar! Die Safran-Aromen dominieren in der Nase und machen den Wein schwierig zu beschreiben und noch schwieriger, auf einer Komplexitäts-Skala einzustufen. Denn so richtig komplex ist er nicht, doch so richtig eindimensional ist eben auch nicht. Genau wie ein raffiniert gewürzter Safran-Risotto auch: nie breit und intensiv sondern delikat und sehr präzis.

Am Gaumen zieht sich diese Safran-Note weiter, dazu kommt ein Schuss frisch gepresster Zitronensaft, etwas mehliger Apfel und eine ganz feine Würze, die an getrockneten Oregano erinnert. Die Säure ist markant und sehr lebendig. Sie macht den Wein frisch, knackig und äusserst trinkanimierend. Der Alkohol ist, wie schon erwähnt, sehr moderat und nach jedem Schluck hat man sofort Lust auf den nächsten.

Wenn ich den Wein rein technisch bewerte komme ich lediglich auf 86 Punkte. Aber wie oben schon erwähnt sind Punkte in diesem Fall das völlig falsche (um nicht zu schreiben föllig valsche) Instrument, um diesen Wein zu erfassen. Somit empfehle ich wärmstens, die Punktzahl zu ignorieren und den Text im Zweifelsfall ein zweites Mal zu lesen.

Die Flasche war entsprechend schnell leer. Sowohl als Aperitif als auch als Begleiter zu unserem von Hand gehakten und leicht pikant gewürzten „Steak haché“ machte der Prosecco Vigneto S. Biagio eine hervorragende Figur.

Ich erwähne es nochmals, es ist kein Wein für den unkomplizierten Prosecco-Genuss so ganz nebenbei. Es ist ein seriöser, äusserst delikater Wein, der entdeckt werden will und der dem Geniesser entsprechend Zeit und Musse abverlangt (obwohl die Flaschen dann, wenn einmal entdeckt, sehr schnell leer ist). Ich lege jedem „Prosecco-Hasser“ dieser Weinwelt nahe, sich eine Flasche davon zu gönnen. Vielleicht werden so noch ein paar weitere Weinvorurteile eliminiert.

Ich habe also Frieden geschlossen mit dem Prosecco. Und ich werde weitersuchen nach speziellen Varianten des Prosecco. Möglicherweise kann ich schon bald mit einem Vorurteil weniger durch diese wundervolle Weinwelt navigieren.

Erhältlich ist der Wein für Fr. 19.80 bei Riegger.

 

Impressum: Adrian van Velsen, Alte Spinnerei 1, CH-5210 Windisch, Telefon +41 44 350 01 44. Adrian@vvWine.ch
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