Schipfgut: frischer Wind, der Tradition verpflichtet.
Vor einigen Wochen stolperte ich über einen Facebook-Post von Jonas David Ettlin. Er teilte zwei Fotos aus dem Schipfgut-Weinberg und forderte seine Community auf, ihn an seinem neuen Arbeitsort, dem Schipfgut eben, zu besuchen. Aha, dachte ich mir, es weht ein frischer Wind im Schipfgut am Zürichsee, dessen Weine ich seit vielen Jahren kenne und schätze. Auch Jonas kenne ich schon länger und weiss, wie qualitätsorientiert er denkt und handelt. Er ist sicherlich die ideale Person, um den Balanceakt zwischen dem Gestern und dem Morgen auf diesem äusserst traditionsreichen Weingut zu meistern.
Das vielleicht schönste Weingut am Zürichsee.
Die Schipfhalde, ein steiler, südwestlich ausgerichteter Weinberg ist einer der ältesten Rebberge am Zürichsee. Schon vor über 600 Jahren wurde an diesem Hang in Herrliberg Weinbau betrieben. Die mit Seidenhandel wohlhabend gewordene Zürcher Familie Werdmüller erstellte im 17. und 18. Jahrhundert das Landgut «Schipf», zwei stattliche Häuser die von der Handelsfamilie als Sommersitz genutzt wurden.
Es war die Familie von Meyenburg, die das Schipfgut vor über 120 Jahren übernahm und über mehrere Generationen hinweg Weinbau betrieb und bis heute betreibt. Aktuell leitet Kaspar von Meyenburg die Geschicke das Schipfgut. Er war ursprünglich nicht Winzer sondern promovierter Naturwissenschaftler mit einer Professur für Mikrobiologie an der Uni Kopenhagen und späterer Abteilungsleiter im Ciba-Geigy-Konzern. 1991 übernahm Kaspar das Schipfgut von seinem Vater. Sein Versuch, das seinerzeit noch als klassischer Mischbetrieb geführte Gut im Nebenjob zu leiten, scheiterte, und so beschloss er im Jahr 1994, voll und ganz auf Rebbau zu setzen. Seit einigen Wochen wird Kaspar von Meyenburg durch den oben erwähnten Jonas David Ettlin unterstützt. Der junge Oenologe, der vorher den Weinbaubereich der Kartause Ittingen leitete, unterstützt Kaspar von Meyenburg mit Rat und Tat im Rebberg, Keller und in Sachen Betriebsleitung.
Auf sonnigen 4.5 Hektar gedeihen die Sorten Pinot noir (Clevner), Räuschling, Riesling x Silvaner sowie Spezialitäten wie Pinot Gris, Gewürztraminer, Garanoir, Freisamer und Chardonnay. Gekeltert werden die Trauben in einer bald 300 Jahre alten Trotte, die in einem eindrücklichen Gewölbekeller steht, wo die Weine bis zur Auslieferung vor sich hinreifen. Wer nun aber denkt, dass die Schipfgut-Weine jung getrunken werden müssen, der irrt. Schon mehrmals durfte ich mich nämlich vom Reifepotential der Weine überzeugen lassen, zuletzt mit einem Chardonnay aus dem Jahr 2007, welcher sich noch immer wunderbar frisch präsentierte und sicherlich nochmals 5-8 Jahre Reserven hat.
Eindrückliche Weine die wunderbar reifen.
Auch bei diesem Besuch konnte es Kaspar von Meyenburg nicht lassen, mir neben seiner «aktuellen Kollektion» auch einige ältere Weine aufzutischen, darunter ein 2006er Chardonnay und drei Pinot Noir aus dem Hitzejahr 2003. Nachfolgend meine Eindrücke.
Vin Mousseux, Schipfgut, Herrliberg, Zürich, Methode Traditionell, auf Basis von Räuschling. Offene Nase, helle Frucht, Apfel, dezent oxidative Noten, Brioche. Vollmundig, markante Schaumbildung, etwas wacklige Struktur, reife Frucht, die Süsse ist etwas aufdringlich, caschiert die dezente Bitternote. Im Abgang mit guter Länge. Etwas zu unpräzis für meinen Gaumen, aber sicherlich ein spannendes Projekt für Jonas…
2016, Räuschling, Schipfgut, Herrliberg, Zürich. Helles Gelb. Duftige Nase, Gräser, Apfel, Zitrusfrüchte. Saftiger Auftakt, frisch und knackig, schlank mit guter Struktur, elegant, zeigt Dichte und Schmelz, im Abgang mit schöner Länge und einer feinen Hefenote. Jetzt bis 2022+ geniessen, 17.5 vvPunkte (89/100).
2015, RxS Spätlese, Schipfgut, Herrliberg, Zürich. Helles Gelb. Intensive, sehr sortentypische Nase, wirkt fast schon parfümiert. Im Auftakt mit viel Schmelz, weiche, reife, süsse Frucht, leicht und mit eher tiefer Säure. Riesling-Sylvaner-typischer, würziger und sehr aromatischer Abgang. Jetzt bis 2020 geniessen, 17 vvPunkte (85/100)
2015, Freisamer (Sylvaner x Pinot Gris), Schipfgut, Herrliberg, Zürich. Helles Gelb. Offene Nase, dezent käsig-buttrig, dazu Kräuternoten, gelbe Frucht. Im Auftakt vollmundig und mit schöner Frucht, mittlerer Körper, gut integrierte Säure, strukturiert, mit Schmelz und deutlich Backapfelaromatik, das Ganze gespickt mit Weihnachtsgewürzen und viel Anis (Chräbeli). Sehr schöne Länge im Abgang. Jetzt bis 2022, 17.5 vvPunkte (88/100)
2015, Pinot Blanc, Schipfgut, Herrliberg, Zürich. Helles Gelb. Offene, sehr pinottypische Nase, floral, weisse Blüten, Kräuter. Im Auftakt mit Schmelz, zeigt Volumen, weisser Pfirsich, Kräuter, die Frucht getragen von einer schönen Säure, im Abgang langanhaltnd, ausgweogen. Sehr gelungen. Jetzt bis 2022, 17.5 vvPunkte (88/100).
2014, Chardonnay, Schipfgut, Herrliberg, Zürich. Helles Gelb. Offene Nase, deutlich Barrique, sehr schönes Holz, dahinter reife Ananas und Zitrusfrüchte. Im Auftakt vollmundig mit reifer Frucht und viel Würze, das Holz auch hier wahrnehmbar, sehr gut strukturiert, mit angenehmer Säure unterlegt, im Abgang mit einer grossen aromatischen Länge. Jetzt bis 2025, 18 vvPunkte (90/100).
2015, Chardonnay, Schipfgut, Herrliberg, Zürich. Helles Gelb. (1 Tag offen). Buttrig-käsige Nase, Kräuter, Apfel, Pfirsich, das Holz kaum wahrnehmbar. Im Auftakt mit Schmelz und Fülle, wieder etwas buttrig, dabei aber nicht schwer, kraftvoll, mit reifer Frucht und einer sehr saftigen Säure, wieder Aromen von reifen Äpfeln, Pfirisch und auch exotischen Früchten, sehr langer Abgang, 18 vvPunkte (91/100)
2006, Chardonnay, Schipfgut, Herrliberg, Zürich. Dunkles Gelb. Offene, reife Nase, reifer Apfel, eine dezente Scherrynote schwingt mit, viele Kräuter, Haselnuss, Mirabellen, das zeigt Tiefe und eine sehr schöne Komplexität. Im Auftakt mit Schmelz, würzig, die Säure trägt die reife Frucht, hervorragend greift, dicht und mit einer faszinierenden Retroaromatik im langen Abgang. So schön kann ein Schweizer Weisswein reifen. 18 vvPunkte (90/100)
2014, Pinot Noir, Auslese, Schipfgut, Herrliberg, Zürich. Leuchtendes Rubin, aufgehellter Rand. Sehr feinduftige, expressive Nase, Himbeeren, Gräser, Blumenwiese, Orangen, schöne Komplexität. Weicher Auftakt, zugänglich und fruchtbetont, mittlerer Körper, gut integriertes, nicht sonderlich ausgeprägtes aber feines Tannin, gute Struktur, die rote Frucht setzt sich fort, im Abgang kurz aber stimmig, ausgewogen, frisch und mit Trinkfluss. Jetzt bis 2021+ geniessen, 17 vvPunkt (86/100).
2014, Pinot Noir, Spätlese, Schipfgut, Herrliberg, Zürich. Leuchtendes Rubin, aufgehellter Rand. Intensive, fruchtbetonte Nase, viele reife Himbeeren, Erdbeeren, Anflüge von Hagebutten, Kräuter. Im Auftakt gradlinig, fruchtbetont, mittlerer Körper, schöner Schmelz, zeigt etwas mehr Gerbstoff als die Auslese, ist gut strukturiert und mit sehr schön integrierter Säure, wirkt spannungsvoller und etwas wilder als die Auslese, hat eine sehr gute Balance. Aromatisch mit heller Frucht die an Himbeeren und Granatapfel erinnert, zeigt im Abgang eine sehr schöne aromatische Länge. Jetzt bis 2024 geniessen, 17.5 vvPunkte (89/100).
2013, Pinot Noir Barrique Auslese, Schipfgut, Herrliberg, Zürich. Leuchtendes Rubin, aufgehellter Rand. Intensive Nase, dezent rauchige Noten, würzig, rotfruchtig, Sauerkirschen, Himbeeren, das Holz wahrnehmbar aber nicht überbordend. Im Auftakt gradlinig und frisch, mittlerer Körper, sehr feines Tannin, die rote Frucht erinnert an Sauerkirschen und Himbeeren, wird von einer hervorragenden Säurestruktur getragen, der Wein ist dicht und dennoch sehr elegant, im Abgang mit schöner Würze und viel Schmelz. Jetzt bis 2025+, 18 vvPunkte (91/100).
2012, Cuvée Noir, Pinot Noir, Garanoire, Diolinoir, Merlot (2-3%), Schipfgut, Herrliberg, Zürich (ausgebaut im grossen Fass). Helles Rubin, aufgehellter Rand. Krautige Nase, zeigt bereits Evolution, rotfruchtige Aromen, Süssholz, gute Komplexität. Im Auftakt weich, zugänglich und mit einer gewissen Reife, die Tannine sind gut integriert, nicht ausserordentlich ausgeprägt, solide Struktur, geschmeidig und geschliffen, ohne Ecken und Kanten, im Abgang ausgewogen und von mittlerer Länge. Jetzt bis 2021 geniessen, 17.5 vvPunkte (87/100).
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2003, Pinot Noir Auslese, Schipfgut, Herrliberg, Zürich. Helles Rubin, leicht ziegelfarbener Rand. Offene Nase, dezent rauchig, Pech, etwas Gummi, dahinter rotfruchtige Aromen, Sauerkirschen, verbranntes Holz. Im Auftakt mit Schmelz und Fülle, sehr schöne gereift, nach wie vor mit lebendiger Frucht, getragen von einer guten Struktur und einer erstaunlich schönen Säure, saftig und mit etwas Lakritze im langen Abgang. Ein sehr gutes Beispiel eines 03ers, der trotz Hitzejahr viel Frische zeigt. Jetzt geniessen. 17.5 vvPunkte (89/100).
2003, Pinot Noir Spätlese, Schipfgut, Herrliberg, Zürich. Helles Rubin, aufgehellter, leicht ziegelfarbener Rand. Offene, angenehm tiefe Nase, dunkle und rote Kirschen, reife Himbeeren, Süssholz, Kräuter. Im Auftakt gradlinig, strukturiert, das Traubengut war reif aber nicht überreif, der Wein wirkt weder müde noch verbrannt, die 14.5% Alkohol sind perfekt verpackt, die Säure hält den Wein frisch, da ist nach wie vor eine sehr gute Struktur vorhanden. Am mittleren Gaumen druckvoll und mit Schmelz, zeigt im Abgang eine wunderbare Länge. Auf jeden Fall hat dieser Wein noch Reserven. Jetzt bis 2025+ 18 vvPunkte (91/100)
2003, Pinot Noir Barrique Auslese, Schipfgut, Herrliberg, Zürich. Leuchtendes Rubin, sehr duftig, noch jung anmutend, tief, rauchig, torfig und mit vielen reifen Kirschen, Himbeeren, eine Droge. Im Auftakt kraftvoll, zeigt Druck und Schmelz, der Wein ist strukturiert, dicht, konzentriert aber nicht schwer, nach wie vor sind da Gerbstoffe vorhanden, reife, rote und dunkle Beeren geben sich die Hand, eine saftige Säure stützt das Fruchtpaket, darüber schwingen Weihnachtsgewürze und Lebkuchendüfrte mit. Ein aromatisches Highlight, im Abgang sehr lang und verblüffend frisch. Auch dieser Wein ist noch nicht am Ende seines Lebens angelangt, kann weiter reifen. Jetzt bis 2025+. 18.5 vvPunkte (92/100)
Letztere beiden Weine, sowie der herrlich gereifte 2006er Chardonnay, zeigten mir einmal mehr auf eindrückliche Weise, dass sich die traditionelle Vinifikation auf dem Schipfgut lohnt. Die Schipf-Weine machen zwar bereits in ihrer Jungen Spass, doch erst mit etwas Reife spielen sie ihr volles Potential aus. Die 2003er Spätlese und Barrique Auslese waren für mich ein absoluter Hit. Sie gehören definitiv zu den besten Zürcher Pinots aus diesem nicht einfachen Hitzejahr.
Die aktuellen Jahrgänge sind zu äusserst anständigen Preisen direkt beim Schipfgut erhältlich. An dieser Stelle ein Tipp für meine Leser: Kauft beim Schipfgut immer doppelt so viel Wein ein, wie ihr eigentlich möchtet. Vergrabt dann die eine Hälfte ganz hinten im Keller und freut euch zehn Jahre später über hervorragend gereifte Tropfen vom Zürichsee.
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