Nebbiolo Mötfrei, Ruché, Freisa & Malvasia.

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Sie sind Charakterköpfe, diese Piemonteser, aussen hart, doch je besser man sie kennenlernt, entdeckt man ihren weichen Kern. Und nicht nur die Menschen, auch die Weine haben viel Eigenständigkeit und Profil, sind anfangs etwas unnahbar und sperrig, zeigen erst mit der Zeit und der nötigen Erfahrung des Geniessers ihre wahre Schönheit. Ich kann mich gut erinnern, als ich das erste Mal einen Grignolino und einen Freisa im Glas hatte… Ich dachte mir: daran werde ich mich wohl nie gewöhnen.

Doch ich lag falsch. Nach einigen Gehversuchen und immer im Kontext von ausgedehnten Tischrunden mit lachenden Menschen und fleischlastigen Köstlichkeiten habe ich den Zugang zu diesen piemontesischen Tropfen gefunden. Es sind keine Weine, die es auf technische Top-Bewertungen abgesehen haben, sie wollen nicht einfach gefallen, man muss sie entdecken, erobern, bändigen und zähmen. Es sind Weine für Menschen in geselligen Runden, Weine für piemontesische Käsespezialitäten, Esel-Salami, Rindsbraten, Entenbrust im Balsamico-Jus, Agnolotti von der Nonna, Kalbshaxen und, und, und…

Trotz meiner mittlerweile fast 20jährigen Liebe zum Piemont – ich fahre sicherlich 10-12 Mal pro Jahr in die Region – entdecke ich ich immer wieder neue Weine oder Namen, von denen ich noch nie gehört hatte. So musste ich offen gestanden Google zu Hilfe nehmen, um die Bedeutung des Wortes „Mötfrei“ zu verstehen. Es heisst frei übersetzt „Steinpilzhügel“ denn „Möt“ bedeutet im Dialekt des Dorfes Suno, wo mein erster, verkosteter Wein herkommt,  „Hügel“. Und „Frei“ steht im selbigen Dialekt für Steinpilze (funghi porcini). Francesco Brigatti produziert in den Hügeln bei Novara einen kantigen, strukturierten Wein, der perfekt zu obiger Einleitung passt…

Fordernd und mit markanten Gerbstoffen ausgestattet: Mötfrei Nebbiolo aus den Colline Novaresi (c) vvWine.ch

2013, Nebbiolo „Mötfrei“, Colline Novaresi DOC, Francesco Brigatti, Suno, Piemont (100% Nebbiolo). Mittelkräftiges Rubin, leicht aufgehellter Rand. Direkt nach dem Öffnen sehr rotfruchtiges, intensives Bouquet nach eingelegten Piemontkirschen, Erdbeeren, etwas Hagebutte, Kräuter, Tannenspitzen und Pfeffer, spannend, ausladend, eigenständig. Im Auftakt straff und schlank, leichter Körper, gute Struktur, markante und etwas austrocknende Gerbstoffe sowie eine intensive Säure dominieren den Gaumen, drängen die sehr feine, rote Frucht, welche an Granatapfel und Johannisbeeren erinnert anfangs etwas in den Hintergrund, mit mehr Luft jedoch wird der Wein harmonischer, zeigt viel Charakter und in Kombination mit einem feinen Stück Salami einen guten Trinkfluss. Im Abgang von mittlerer Länge, endet sehr trocken auf eingelegte Kirschen. Nein, das ist definitiv kein Wein für Kuscheltrinker, sondern ein kantiger, gerbstoffbetonter Saft der nach Beilagen schreit. Jetzt bis 2024, 17 vvPunkte (86/100). Wahrlich ein herber, fordernder aber eben auch authentischer Piemont-Genuss…

Weiter ging’s mit einem sehr gelungenen Vertreter der autochthonen Rebsorte Freisa. Freisa-Weine werden oft leicht prickelnd (frizzante) ausgebaut und begleiten die gemütlichen, sonntäglichen Tischrunden der Einheimischen. Der Wein von der Cascina Gilli wird dagegen trocken und still ausgebaut.

Frisch, trocken und mit lebhaftem Trinkfluss: Freisa d’Asti Arvelé 2014 von der Cascina Gilli (c) vvWine.ch

2014, Arvelé, Freisa d’Asti DOC, Cascina Gilli, Piemont (100% Freisa). Leuchtendes Rubin. Anfangs verhaltene Nase, öffnet sich mit Belüftung sehr schön, deutlich rotfruchtig, Erdbeeren, Himbeeren, dazu blumige und würzige Noten, wirkt steinig und kühl. Im Auftakt straff und schlank, sehr feine Frucht, Walderdbeeren, etwas Johannisbeeren, leichter Körper, sehr gute Struktur, die saftige Säure hält den Wein frisch, die Tannine sind mittelkräftig, verleihen ein knochentrockenes Mundgefühl, alles in allem wunderbar harmonisch. Im Abgang würzig, frisch und angenehm lang. Ein lebhafter und bekömmlicher Essbegleiter mit erstaunlich guter Komplexität und viel Finesse. Jetzt bis 2022, 17.5 vvPunkte (89/100). Frisch wie ein niveauvoller Beaujolais, einfach aus dem Piemont.

Der dritte Wein ist aus Ruché gekeltert. Ruché ist eine fast ausgestorbene Rebsorte, die aktuell wieder etwas an Boden gewinnt. Ich lernte diesen Wein vor rund 20 Jahren in Zürich kennen (seinerzeit gab es in der Badi Wollishofen im Sommer ein Grill-Restaurant, welches diesen Tropfen auf der Karte hatte). Mit ihrer sehr aromatischen Art und dem oft recht hohen Alkoholgehalt der daraus gekelterten Weine, ist Ruché definitiv etwas gewöhnungsbedürftig. Der Vertreter von Pierfrancesco Gatto macht hier keine Ausnahme.

Eine fast vergessene, sehr aromatische Rebsorte: Ruché (c) vvWine.ch

2016, Ruché di Castagnole Monferrato, Pierfrancesco Gatto, Castagnole Monferrato, Piemont (100% Ruché). Leuchtendes Rubin, purpurfarbene Reflexe. Parfümierte, sehr expressive Nase, floral mit vielen Rosenblättern, dahinter reife Himbeeren, Brombeerbrause, Zwetschgen, Wachholder und würzige Noten, komplex doch leider auch etwas alkoholisch. Im Auftakt weich und mild, leichter Körper, solide Struktur, feine Kirschfrucht, dazu etwas Orangenzesten, wieder florale Aromen, feinmaschiges, markantes Tannin, eine saftige integrierte Säure hält die 15.5% Alkohol einigermassen in Schach, dennoch ist dieser sehr hohe Alkoholgehalt auch am Gaumen deutlich spürbar. Im Abgang von guter Länge, endet wie er betonnen hat auf Rosen- und Himbeeraromen. Jung und kühl geniessen, 17 vvPunkte (85/100). Eine authentische Kuriosität, die man einmal probiert haben sollte.

Last but not least, Malvasia. Dieser Name steht rund um die Welt für verschiedenste Arten von Trauben und Weinen. Im Piemont versteht man darunter oft einen leichten, süssen, alkoholarmen und prickelnden Dessert-Wein, welcher nach dem Essen, quasi als Munderfrischer getrunken wird.

Prickelnd und fruchtbetont: Malvasia di Castelnuovo Don Bosco 2017 (c) vvWine.ch

2017, Malvasia di Castelnuovo don Bosco, Gilli, Piemont (nur 5.5% Alkohol). Leuchtendes Rubin, leicht schäumend. Süssliche amutende, angenehm komplexe Nase, Nase, viele Brombeeren, etwas Rosenwasser, Jasminblüten. Weicher Gaumenauftakt, Süsse und Säure geben sich ein anregendes Spiel, leichter Körper, wenig Struktur, der wein breitet sich aus, zeigt einen ganzen Korb von Beerenaromen, dunkle Kirschen, Brombeeren, Himbeeren, Cassisbrause, die Kohlenläure prickelt auf der Zunge, macht das Getränk ungemein lebhaft und frisch. Mittellanger und sehr stimmiger Abgang. Jung und kühl geniessen. Obwohl ich nicht sonderlich auf süsse Weine stehe, gefällt mir dieser ehrliche und sauber vinifizierte Malvasia die Castelnuovo don Bosco sehr gut. . 17 vvPunkte (87/100). Nach einem ausgiebigen Essen ist dieser Wein für fast volle Bäuche geradezu ideal, um aller Art Nachspeisen zu begleiten, so zum Beispiel zu Bonet. Und für ganz volle Bäuche ist ein Schluck dieses Weins dann gleich selbst die Nachspeise.

Gewisse Weine brauchen einfach Essen, so der Nebbiolo und der Freisa, welche unser Lamm-Rack ideal begleitet haben (c) vvWine.ch

Vor allem der Nebbiolo Mötfrei aber auch der Freisa eignen sich nicht zum einfach so Trinken. Nein, Sie sind als Essbegleiter gedacht. Wir versuchten die Weine am Mittag zu einer herzhaften Pasta mit Tomaten, Zuchini, Pinienkernen und Bufala-Mozzarella und abends zum rosa gegarten Lammrack mit Gemüse, Zitronenthymian und Rotweinjus. In beiden Fällen vermochten die authentischen Weine zu überzeugen.

Erhältlich sind alle oben beschriebenen Weine bei Staldenwein.ch

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