Weg zum Wein
Heute mal darüber nachgedacht, wie sich mein Weg zum Wein gestaltet hat:
Phase 1: Die Abstinenz. Agglomeration Zürich. Bis und mit 23 keinen Tropfen Alkohol. Die Teenager-Parties mit den ganzen Alkohol- und Canabis-Leichen schrecken mich irgendwie ab. Die Mädels schätzen den Hang zum Orangensaft sehr: was will man also mehr, als nach einer Party als einzig nüchterner Mann die Mädels nach Hause fahren?
Phase 2: Wein als Schlafmittel. Biel (Grenze Deutsch- / Westschweiz), um 22 Jahre alt. Täglich 17 Stunden Arbeit. Das Tagesziel um 23 Uhr sind den Email-Account auf Hotmail.com mittels 33er-Modem zu lesen sowie Pizza und Chianti/Montepulciano und Co. von der üblen Sorte als Nahrungs-Element zu sich zu nehmen Man schläft damit schnell und gut aber von Weingenuss zu sprechen wäre natürlich vermessen.
Phase 3: Wein als Konsumgut. Küsnacht, 26 Jahre. Mein Boss in der Werbeagentur, Gründer und Inhaber von Vinum sowie „Importeur“ von Slow-Food in die Schweiz will für ein Projekt eine „Bordeaux-aus-dem-Supermarkt-Probe“ machen. Ich kaufe wahllos Weine und darf Mitdegustieren. Erste Unterschiede werden erkannt, eine Flasche „Moulins de Citran 1996“ geht als Sieger aus der Discounter-Verkostung.
Phase 4: Wein als Berufsfeld. Beat Caduff (Caduffs Wineloft) und Park Hotel Weggis-Verantwortliche via Strategie-Projekte auf der Werbeagentur kennengelernt. Meine jetzige Lebenspartnerin in der Wineloft kennengelernt. Oft und viele Weine parallel probieren dürfen. Die 6er-Kiste mit hübschen Weinen als „Startguthaben für Paris“ von Beat Caduff über die Grenze geschmuggelt.
Phase 5: Wein als Kulturgut. Paris, im Jahr 2000. 28 Jahre alt. Wein gehört zum Essen. Täglich aber in moderaten Mengen, auch Mittags. Nach einem Umzug der ganzen Abteilung schenkt mein Boss allen eine Flasche „St. Emilion 1985“. So quasi als Wiedergutmachung für die Strapazen des Umzuges in ein anderes Stockwerk. An Weihnachten 2000 – kurz vor unserer Rückreise in die Schweiz – wird diese Flasche geöffnet und zur Putenkeule (in Wein geschmort) getrunken.
Tragik Nr. 1: der Wein hiess irgendwas mit „…bellevue, bellair, belle???…“ und das ist alles, an was ich mich erinnern kann.
Tragik Nr. 2: der Wein schmeckte mir extrem gut. Und so beschloss ich, auf diesem Pfad weiter zu forschen.
Tragik Nr. 3. erst heute verstehe ich, dass die Putenkeule im Weinsud wohl etwas zu heavy war für diesen feinen Tropfen.
Phase 6: Wein als erste Entdeckungsreise. Zurück in Zürich beginnt mit 29 Jahren die grosse Suche. Einige der ersten, „bewussten“ und positiven Erlebnisse waren (frei aus dem Gedächtnis und in zufälliger Reihenfolge): Figeac 1993, Citran 1998 und Beauséjour-Bécot 1982 aus der Magnum bei mir zu Hause mit Freunden, Marquis de Terme 1990 zusammen mit Boris in der Brasserie Lipp, Léoville Barton 1997 und Lilian Ladouys 1998 in trauter Zweisamkeit mit meiner grossen Liebe, Mouton 1990 (neben dem 95er Opus One) zur Grillwurst auf der Terasse, Sociando-Mallet 1996, Destieux 1985 und La Conseillante 1975 bei Freunden zu Hause und Phélan Ségur 1990 und La Lagune 1990 im Doktorhaus in Wallisellen. Auffallend dabei: die erinnerbaren Erlebnisse sind stets Bordeaux‘.
Phase 7: Wein = Bordeaux. Mit 30 Jahren. Aufbau des Weinkellers. Bordeaux Sub 2000, erste Nachkäufe zu „Discount-Preisen“ aus 1997 bis 1999. Gute und auch weniger gute Erfahrungen aber die 2000er überzeugen restlos. Natürlich gesellt sich auch die eine oder andere Flasche aus anderen Regionen dazu, aber die Präferenz für Bordeaux bleibt bestehen. Die Woche Urlaub im Tessin erweitert Horizonte. Merlot und Co. überzeugen und die Lust auf Horizonterweiterung entsteht.
Phase 8: Wein als zweite Entdeckungsreise. Von 2002 bis 2004. Viele Experimente rund um den Globus. Einige davon im Piemont, da die Haussuche meiner lieben Freunde geglückt ist und die Sonne dort einfach mehr scheint als in Zürich. Weine aus der Neuen Welt verlieren an Bedeutung. Weitere Erfahrungen mit CH-Weinen: Graubünden, Zürich, Wallis, Vaud, Genf, Schaffhausen – die Schweiz entpuppt sich als kleines Weinparadies. Dazwischen: ständig positive „Rückfälle“ ins Bordeaux (von ganz alt bis ganz jung und von ganz günstig bis ganz teuer) und diverse Frusterlebnisse mit Burgundern. Unter 100 Franken scheint dort nix Trinkbares zu entstehen.
Phase 9: Wein als Hobby. 2004. 1000 Quadratmeter Süd-Westlage werden im Piemont mit 50% Barbera und 50% Cabernet Franc bepflanzt. Die Arbeit im Rebberg beginnt. Alles von Hand, so naturnah (wenn auch nicht Bio) wie möglich. Der lokale Weinbauer-Nachbar schüttelt den Kopf: „Cabernet Franco“ hat er noch nie gehört und „gli Svizzeri“ werden das Projekt Weinberg sicherlich bald wieder sausen lassen. „Piemont sei“ so sagt er „sowieso nur Barbera und das müsse auch so bleiben. Schliesslich ist das Tradition und diese Franzosen-Sorten – er wisse nicht recht…“ Doch die Reben wachsen und das viel besser als erwartet. www.villacuccaro.ch – wenn auch die Weinberg-Impressionen etwas zu kurz kommen.
Phase 10: Wein heute. 2005/2006, mit 33/34 Jahren. Der Keller platzt aus allen Nähten, der Zweitkeller ist bezogen und die ersten „Investitionen“ aus der Anfangszeit beginnen sich im Glas zu öffnen. Das Highlight: wir haben mittlerweile auch den einen oder anderen Burgunder gefunden, der so richtig Spass macht. Wenn auch ich nach wie vor froh wäre, für unter 50 Franken was Anständiges ins Glas zu kriegen. Tips sind also jederzeit herzlich willkommen. Die Finalteilnahme an der CH-Meisterschaft im Weindegustieren ermutigt und die Reben im Piemont wachsen weiter. Dieses Jahr sollte in unserem Rebberg, wenn alles rund läuft, zum ersten Mal etwas Wein entstehen. Der Gemütszustand des Winzer-Nachbarn hat von „Skepsis“ in „latente Euphorie“ gewechselt und nun pflanzt er selber „neue“ Sorten an (Zitat: „Es hat ja schliesslich genügend Barbera in der Zone.“). Wir werden sehen, ob Nebiolo, Syrah und Bonarda gedeihen, ich bin verhalten optimistisch.
Ja, und nun sitze ich hier, mit einem Glas Ch. Citran 2001 und einem Glas Ch. d’Escurac 2002 und einer Grillwurst vor der IBM-Kiste (mittlerweile mit X-Mega-Bit W-LAN-Connection statt einem 33er Modem) und merke gerade wieder einmal, dass auch ganz einfache Weine aus ganz miesen Jahren richtig gut schmecken. So lange sie aus Bordeaux kommen natürlich. In der Hoffnung eines Tages noch mindestens 10 weitere Phasen schreiben zu dürfen verbleibe ich,
hochachtungsvoll,
der Adrian
PS. Die Mädels schätzen mittlerweile eher meine Weintips als die Abstinenz.
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