Das optimale Trinkfenster.

Das mit dem idealen Trinkzeitpunkt ist so eine Sache. Kürzlich schrieb ein Weinfreund bezugnehmend auf meine Notiz zu Château Smith Haut Lafitte 2018, den ich einige Tage vorher im Rahmen der UGCB Probe verkosten durfte, auf «Das Weinforum» folgenden Satz: «Ich bin immer wieder erstaunt, wie sensationell die Weine ab Fass oder in der Probe schon schmecken, man sie aber dennoch erst 6 Jahre später trinken soll. Mir ist schon klar, dass sich Weine in ihrer Reifezeit z. T. sehr deutlich verändern, aber manchmal frage ich mich, was laut den Beschreibungen noch besser werden soll.» Dieser Satz veranlasste micht, ein paar meiner Gedanken zum Thema niederzuschreiben.

Meine Trinkffenster versuche ich so festzulegen, wie ich einen Wein En Primeur resp. bei Arrivage degustativ wahrnehme. Es geht hier im Kern darum, die Menge und die Qualität der Tannine einzuschätzen, das Vorhandensein von Frucht und einer guten Säurestruktur zu prüfen sowie die Balance zwischen Alkohol, Frucht und Tannin/Säurestruktur zu bewerten. Genügend Frucht, viel gutes Tannin, die passende Säurestruktur und eine feine Balance zwischen allen Elementen sind ein Garant für eine schöne und lange Reifephase.

Fakt ist natürlich auch: Der eingangs erwähnte Rotwein von Château Smith Haut Lafitte hat enorm feine Tannine, die es erlauben, den Wein grundsätzlich schon bei Arrivage problemlos «trinken zu können». Doch zwischen «Trinken können» und «trinken möchten» gibt es für mich einen Unterschied. Aktuell ist es z.B. der 2012er (qualitativ noch nicht auf dem gleichen Niveau wie 2015 bis 2020), der sich so präsentiert, wie ich einen Wein trinken möchte, nämlich am «Anfang eines idealen Trinkfensters». Natürlich konnte man die 2012er auch bei Arrivage oder vor 3-4 Jahren bereits trinken, doch so richtig aufblühen tun sie mehrheitlich jetzt, im 2020/2021.

Zu jung? Zu alt? Gerade richtig? (c) vvWine.ch

Schwieriger wird es mit der Schätzung für das «Ende des idealen Trinkfensters» – hier kommt die Glaskugel schon eher mit ins Spiel, und – das ist auch nicht zu unterschätzen – die ganz subjektive Wahrnehmung, wann ein Wein denn überhaupt «noch trinkbar ist». Ich kenne viele ältere Weinnasen, die sich mit grosser Freude einem 50 oder 60+ jährigen Wein hingeben können, Todessüsse lieben, dabei vielleicht ihr eigenes Leben reflektieren… Es gibt aber genausoviele Weinliebhaberinnen und Weinliebhaber, die gerade im fortgeschrittenen Alter die «Lust an der jungen Frucht» wiederentdecken, welche sie möglicherweise an die eigene Jugend erinnert, die doch schon einige Tage her ist. Man lasse diesbezüglich jeder und jedem das Seine.

Meine Schätzung, in diesem Fall ein optimales Trinkfenster von 2027-2050 für den roten Château Smith Haut Lafitte 2018, basiert auf zwei zentralen Parametern:

  1. Meiner doch mehrfach geprüften Erfahrung, dass man heutige Bordeaux-Weine bereits rasch «trinken möchte» und
  2. Der Tatsache, dass der Wein aufgrund seiner grossen Qualität (top Frucht, viel sehr hochwertiges Tannin, sehr gute Säurestruktur, sensationelle Balance zwischen Frucht und Struktur etc.) ein mindestens 20jähriges «optimales Trinkfenster» vor sich hat.

Setzen wir nun diese Aussage einmal in den Kontext eines älteren, bekanntlich sehr guten und wie 2018 ebenfalls sonnenverwöhnten Jahrgangs und nehmen als Referenz einen sehr guten Wein aus der selben Appellation: Château Haut-Bailly 1990. Dieser Wein bietet aktuell sensationellen Trinksgenuss, ist meines Erachtens aber «am Ende seines optimalen Trinkfensters» angelangt, was nicht heissen will, dass er in zehn Jahren nicht mehr trinkbar ist, aber ich bin überrzeugt, dass sich dieser Wein nicht mehr verbessern wird, sondern über die Jahre nun tendenziell an Charme verlieren dürfte und seine Fähigkeit, grosse Trinkfreunde zu garantieren, mehr und mehr einbüssen wird. Zur Klarstellung: Ich habe bei diesem Beispiel-Wein divese Refernzpunkte, genoss ich doch meine ersten Château Haut-Bailly des Jahrgangs 1990 ums Jahr 2000 herum. Damals war der Wein noch jugendlich, etwas sperrig, aber trinkbar. Er fand um 2005 herum sein aus meiner Sicht «optimales Trinkfenster», welches er nun bis eben zum heutigen Tage resp. Jahr halten konnte. Kurz: Château Haut-Bailly 1990 öffnete ca. 15 Jahre nach der Ernte ein rund 20jähriges, optimales Trinkfenster.

Wohl wissend, dass sich die Vinifikation deutlich verändert hat, und die Bordeaux-Weine heutzutage früher zugänglich sind als noch vor 20 oder 30 Jahren, bin ich darum überzeugt, dass mein angegebenes Trinkfenster für Château Smith Haut Lafitte 2018 richtig gewählt ist. Wer es nicht glauben möchte, darf gerne in nicht ganz unfreudvollen Praxis-Tests das Gegenteil beweisen.

Auf euer Wohl! Adrian

1 Antwort
  1. Alex Ulrich
    Alex Ulrich says:

    Lieber Adrian, deine Zeilen sind durch und durch korrekt und akzeptabel. Auch ich kenne so einige Château Weine, welche ich schon vor 20 Jahren im Glas haben durfte. Was damals als recht harter Wein und „bourgoise“ daher kam ist heute, nach vielen Jahren der Flaschenreife, wunderbar zu trinken. Für mich dürfen die richtigen Bordeaux gerne bereits am Ende ihrer Genussphase sein, ich mag das sehr. Doch dank deiner Hilfe habe ich die letzten Monate auch sehr viel junge Bordeaux verkosten können, und ja, ich mag auch diese Weine sehr. Geht es jedoch darum, fast alleine eine Flasche zu geniessen sind mir reife Weine bekömmlicher als junge. Konzentrierte Frucht mag bestimmt vielen gefallen, doch gerade bei jungen Weinen ist dieses Fruchtaroma oft durch viel Tannin und noch nicht integriertem Holz der Fässer im Ausdruck noch nicht integriert. Wein ist wunderbar, auch darüber zu diskutieren und zu lernen..

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