St-Gallen am Zürichsee?
Zugegeben, ein Wein vom Zürichsee, der unter der AOC St. Gallen vermarktet wird, mag manch einem erst etwas komisch vorkommen. Doch wer beim Geografie-Unterricht nicht nur sein Bank-Gspänli sondern auch mal die Landkarten der Schweiz studiert hat, stellt fest, dass der Kanton St. Gallen grösser ist als man gemeinhin so denkt und mit seinem neckischen Zipferl auch die Zürichsee-Seegemeinden Rapperswil-Jona, Bollingen und Schmerikon umfasst.
In der erstgenannten Gemeinde, genauer gesagt im Ortsteil Kempraten, liegt das Weingut Höcklistein, das zu Schmidheiny gehört. Schmidheiny besitzt auch das Weingut Cuvaison im Napa Valey, die Finca Decero in Mendoza, Argentinien sowie das Schweizer Weingut Schmidheiny im Rheintal, Heerbrugg, wo Thomas Schmidheiny seinerzeit aufgewachsen ist und die Industriellenfamilie mit dem Weinbau begonnen hat. Eine Auswahl der Schmidheiny- und Höcklistein-Weine konnte ich kürzlich verkosten.
2019, Johann FR 117-68 Rebhof, AOC St. Gallen, Schmidheiny Weingut im Rheintal (100% Johanniter, eine 1968 am Staatlichen Weinbauinstitut Freiburg gezüchtete, pilzwiderstandsfähige weisse Rebsorte. Sie ist eine Kreuzung aus Riesling, Ruländer (Pinot Gris), Gutedel (Chasselas) und Seyve-Villard und ist mit dem Zuchtstamm FR 177-68 gekennzeichnet.). Blasses Grüngelb. Die Nase zeigt exotische Früchte, etwas Ananas, Bananen, Gras, mit mehr Luft auch Zitrusnoten. Im Gaumen fruchtbetont und erfreulich frisch, die reife Frucht, wird von einem milden Säuregerüst getragen, leichter Körper, im Abgang mit einem feinen Bitterchen, das dem Wein ganz gut steht. Jung geniessen. 83/100 vvPunkte.
2019, Sauvignon Blanc Höcklistein, AOC St. Gallen, Höcklistein (100% Sauvignon Blanc). Mittleres Gelb. Angenehme, nicht überparfümierte Nase, zeigt neben den typischen Stachelbeer-Aromen auch Zitrusfrüchte, exotische Früchte, weisse Blüten. Im Gaumen zugänglich, weich, dezent süsslich, mittlerer Körper, der Restzucker dominiert nicht, wird von einer gut integrierten Säure gepuffert, fruchtbetont aber ohne Schnörkel und Kitsch. Endet angenehm lang. 2020-2024, 86/100 vvPunkte.
2019, Räuschling Höcklistein, AOC St. Gallen, Höcklistein (100% Räuschling). Mittleres Gelb. Feinduftige Nase, leicht kräuterig, dazu Zitrusblüten, grüner Apfel, auch würzige Elemente, schöner Duft. Im Gaumen kraftvoll, aber nicht überladen, herrlicher Schmelz, sehr gute Säurestruktur, das Fruchtpaket zeigt einiges an Druck, bleibt dabei ausgewogen und elegant, ungemein schwungvoll und mit einem kargen, sauer-salzigen Finale. Ein sehr gelungener Räuschling, der jetzt schon Spass macht aber gut reifen dürfte. 2020-2027, 88/100 vvPunkte.
2018, Räuschling Äfenrain, AOC St. Gallen, Höcklistein (100% Räuschling. Äfenrain kommt übrigens nicht von «Affe», sondern soll eine sprachliche Variante des «Neffen» sein. Die Reben wurzeln auf kalkhaltigem Nagelfluhboden am höchsten östlichen Punkt im Rebberg). Kräftiges Gelb. Intensive, komplexe Nase, ein Duft zum Eintauchen, viele weisse Blüten, Apfel, Pfirsich, Grand Marnier, würzige Noten, Muskat. Im Gaumen kräftig, opulent, der Wein zeigt eine sehr cremige Textur, wirkt fast ölig, hat definitiv Fleisch am Knochen, ohne dass er aber breit und behäbig werden würde, ausladend, hedonistisch, sehr gut strukturiert und mit einer feinen, reifen Säure ausgestattet, die diesen eindrücklichen Räuschling in einen langanhaltenden Abgang trägt. Endet reiffruchtig mit salziger und würziger Note. Ein top Räuschling, eher als Essbegleiter als Aperitif geeignet. Kann reifen. 2020,2030, 90/100 vvPunkte.
2016, Zweigelt Schmidheiny, AOC St. Gallen, Schmidheiny Weingut im Rheintal (100% Zweigelt). Leuchtendes Rubinrot. Die Nase zeigt sich sehr sortentypisch mit Noten von Kirschen, Holunder- und Brombeerkonfitüre, dazu eine krautige Herbe sowie eine Prise Rauch, ganz dezent schwingt auch eine animalische Note mit, spannend. Der Gaumen wirkt auf den Punkt gereift, wunderschöne Balance von Frucht, Alkohol, Gerbstoff und Säure, sehr lebhaft, gut strukturiert und mit viel Zug ausgestattet zieht sich der Wein am mittleren Gaumen hin und endet dunkelfruchtig, würzig und lang. Ein sehr gelungenes Schweizer Zweigelt-Beispiel, top ausgewogen und aktuell gefährlich verführerisch. Trinkspass garantiert! Jetzt bis 2025+, 90/100 vvPunkte.
2015, Pinot Noir, AOC St. Gallen, Schmidheiny Weingut im Rheintal (100% Pinot Noir. Ein Jahr im Barrique ausgebaut). Mittleres Rubinrot. In der Nase anfangs reduktiv, braucht etwas Zeit sich zu öffnen, blind würde ich diesen Wein eher an den Genfersee verorten. Der Gaumen ist druckvoll, gradlinig und gut strukturiert, die Frucht wird noch immer von einem markanten Gerbstoff-Säuregerüst in Schach gehalten, eine leicht krautige Note verleiht dem Wein Charakter, eigenwillig und doch balanciert, lebhaft und mit Lust auf ein Stück Fleisch spielt dieser Wein nicht mit Charme sondern eher mit Provokation. Baut über drei Tage deutlich aus. Jetzt (unbedingt belüften) bis 2026+, 89/100 vvPunkte.
2015, Pinot Noir Paradies, AOC St. Gallen, Höcklistein (100% Pinot Noir aus dem östlichen Teil der Reblage Paradies, wo der Lehmanteil etwas abnimmt. Die Rebzeilen sind süd-südwestlich ausgerichtet und werden darum beidseitig besonnt. Die dickschaligen Pinot-Noir-Klone stammen von renommierten Burgunder-Weingütern und sind mit 10’000 Stöcken pro Hektar sehr eng gepflanzt. Sehr tiefe Erträge.) Reifes Rubinrot. Die dunkelfruchtige Nase ist deutlich vom Barrique geprägt, zeigt viele Sekundäraromen wie Caramel, Rauch, dunkle Schokolade, Lakritze, definitiv vielschichtig wenn auch der Pinot vom Holz erdrückt wird. Im Gaumen kräftig, konzentriert, auch hier etwas gar deutlich vom Holz geprägt, wunderbar reife Frucht, sehr schöne Säure, die Tannine markieren, ebenso der Alkohol. Im Abgang von eindrücklicher Länge, hallt sicher eine Minute nach. Wer einen eleganten, leichtfüssigen Pinot sucht, ist hier fehl am Platz. Ein Wein, der mich eher an an einen üppigen «New World» Pinot erinnert. Qualitativ sehr gut, in Sachen Holzeinsatz für mein Gusto aber etwas zu viel des Guten. Jetzt (dekantieren) bis 2028+. Die «tiefe» Note von 88/100 vvPunkten gibt’s aufgrund des zu exzessiven Holzeinsatzes, der die Balance des Weins stört.
2017, Pinot Noir Halde Unterhalb der Mauer, AOC St. Gallen, Schmidheiny Weingut im Rheintal (100% Pinot Noir. 30 Monate lang in neuen Barriques ausgebaut). Mittleres Rubin. In der Nase komplex, zeigt Tiefgang, noch deutlich Neuholz, viele Röstnoten, dunkle Kirschen, Blaubeeren, Rauch, Kohle. Der Gaumen ist druckvoll und erstaunlich elegant, das Holz wirkt hier besser eingebunden, als die Nase es vermuten lässt, saftig und mit feinen, reifen Gerbstoffen ausgestattet, die zusammen mit der Säure ein sehr gutes Strukturkorsett bilden, zieht sich der Wein am mittleren Gaumen hin und endet eindrücklich langanhaltend auf einen Mix aus Primär und Sekundäraromen. Kann mit etwas Reife noch zulegen. Jetzt bis 2030+, 89+/100 vvPunkte.
2016, Merlot Höcklistein, AOC St. Gallen, Höcklistein (100% Merlot). Mittleres Bordeauxrot. Die Nase ist direkt nach dem Öffnen expressiv und erstaunlich vielschichtig, ein Mix aus Waldbeeren, Pflaumen, Gewürzbrot, Leder, dazu Nussbrot, Kräuter und Lakritze, ein schöner Duft. Im Gaumen sortentypisch, perfekt gereift, ab Minute 1 der Verkostung zugänglich ohne dabei banal oder eindimensional zu wirken, reife Frucht, herrliche Säure, gut integrierte, bereits abgeschmolzene Gerbstoffe und keinerlei Alkoholüberhang. Endet langanhaltend, dunkelfruchtig und würzig. Ein Archetyp eines eleganten Merlots, ausgewogen, leichtfüssig, mit Trinkfluss. Muss sich vor seinen Tessiner Konkurrenten nicht verstecken. Jetzt bis 2024+ geniessen. 89/100 vvPunkte.
2016, Merlot Paradies, AOC St. Gallen, Höcklistein (100% Merlot aus dem westlichen Teil der Lage Paradies, wo ein hoher Lehmanteil dominiert und das Wasser optimal speichert. Mit 10’000 Stöcken pro Hektar sehr hohe Pflanzdichte und nur rund 300 bis 400 Gramm Ertrag pro Stock). Mittleres Bordeauxrot. Intensive Nase, komplex, tiefgründig, Pflaumen, schwarze Kirschen, Tabak, Leder, Kräuter, Tee man wähnt sich fast im Pessac-Léognan, wüsste man nicht, dass dieser Wein am Zürichsee entsteht. Der Gaumen ist fleischig, rund und weich, körperreich, mit einer gewissen Opulenz ausgestattet aber nicht überladen, Frucht, Säure, Gerbstoff und Alkohol in perfekter Balance, das Holz wahrnehmbar jedoch gut eingebunden, im Abgang ausgesprochen langanhaltend. Ohne Zweifel ein Top Merlot der in mancher Merlot del Ticino Probe für eine Überraschung sorgen könnte. Jetzt bis 2028+ geniessen. 92/100 vvPunkte.
Meine ganz persönlichen Favoriten waren der Räuschling Höcklistein und der Räuschling Äfenrain sowie die spannenden und hochwertigen Zweigelt- und Merlot-Weine. Bei den Pinots gefiel mir der 2015, Pinot Noir aus Heerbrugg sehr gut, zeigt er doch vom Stil her eine gewisse Eigenwilligkeit. Die beiden Lagen-Pinots dagegen waren für meinen Gusto etwas gar stark vom Holz geprägt, was ihnen den wahren Pinot-Charakter etwas nimmt. Der 2017er geht diesbezüglich sicher in die richtige Richtung, doch auch hier wäre wohl noch weniger mehr.
Wer sich ein Bild über die Schmidheiny-Weine machen will, sei herzlich dazu eingeladen, die Güter vor Ort zu besuchen oder sich direkt ab Weingut eine Selektion der Weine zu bestellen.
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