Neues Jahr, neues Glück oder so.
Jahresrückblicke sind so wertvoll wie Orange-Weine. Schön sind sie da, aber end of day braucht das kein Mensch. Ja ich hasse Rückblicke. Sie zeigen doch nur auf was man alles verpasst hat: Hätte, hätte, Fahrradkette, dabei sieht man nur am Rande was man alles erreicht hat. Rückblicken kann auch wirklich jeder. Ist ja auch kinderleicht: Facebook anschalten, Email Verlauf, oder die Fotos durchscrollen. Alles gibt Aufschluss auf das was gewesen ist.
Wenn ich da so durch meinen digitalen Datenmüll und durch meine Zapfensammlung stöbere, stelle ich fest, dass es mir im 2019 weintechnisch sehr gut ging. Mein Jahr startete im Roten Meer mit einem Prüm Kabinettchen beim Tauchen. Dann hatte im Januar und Dezember gleich 2x das Vergnügen die Weine vom Gran Signore Accomasso und Aldo Conterno zu kosten, habe den Martin Donatsch genau dem Zeitpunkt getroffen, als der Hype gerade den Muttermund passiert hat und durfte von seinem 13er Privée probieren. Ich hatte unzählige weitere, hervorragende Schweizer Gewächse wie z.B. den 13er Cayas sowie den Pinot von Gian-Battista, der zwar noch nicht der beste Pinot der Schweiz war, denn es folgten Studach, La Maison Carrée, Besson-Strasser, Broger, Gantenbein, Obrecht, zur Metzg, Casanova und natürlich auch Vinattieri und viele, schön gereifte Chasselas uvm. You name it, I had it.
Ich habe weiter versucht, den Mittagswein wiederzubeleben und ging mit gutem Vorbild voran: Coche Dury, Roumier, Fourrier, Rousseau und sogar etwas DRC wanderte um Punkt 12 in die Gläser; doch trotzdem wird heute über Mittag nicht mehr Wein getrunken. Mit Champagner hielt ich es wie Coco Chanel: Ich trank ihn nur wenn ich verliebt war und wenn ich es nicht war. Gereifte Bordoos? Ein Hoch auf den 45er und 75er Cos sowie den 61er Troplong Mondot. Legend!
Ich könnte so noch fünf Abschnitte weiterschreiben über das, was mir so zwischen den Papillen durchgerutscht ist und dabei mein Selbstbewusstsein noch etwas mehr polieren. Doch das wäre zu einfach. Denn mir ist im letzten Jahr nicht nur aufgefallen was ich alles gesoffen habe, sondern auch noch etwas anderes: Wein ist eine unglaublich ernste Angelegenheit. Nicht für alle, aber doch für einige viele. Ich kann das im Speziellen sogar nachvollziehen, aber im Allgemeinen dann eben doch nicht. Denn Sie müssen wissen, dass ich ein Trinker bin. Ich analysiere den Wein nicht gerne bis ins letzte Detail. Ich trinke ihn lieber, habe meine Freude damit, statt ein fünfseitiges Pamphlet darüber zu schreiben.
So wird auf den Sozialen Medien ein reger Austausch gepflegt, meist mit noblen Höflichkeiten, von Zeit zu Zeit aber wird auch mal jemandem die Faust bis zum Ellenbogen in den Allerwertesten gerammt. Hauptsache die eigene Meinung weicht kein Millimeter von der Linie ab. Standhaftigkeit (um nicht zu sagen Sturheit) und eine etwas zu gesunde Portion Egoismus, gepaart mit einer Weitsicht, die der eines Schimmels beim Dressurreiten gleicht, enden vermeintlich fruchtbare Diskussionen in enge Sackgassen. Und zu guter Letzt erschwert die eigene Eitelkeit dann meist noch, aus dem stinkenden Morast herauszufinden.
Dabei wäre es so einfach: «De Gustibus non est disputandum», sagten schon die alten Römer. Und es wird noch einfacher, wenn man erkennt (oder bedenkt), das Weintrinken keine exakte Wissenschaft ist. Okay, es gibt eine relativ breite Bahn wo (manchmal) in den Basics ein gewisser Konsens herrscht. Aber sonst? Who the fuck cares? Chasselas muss jung getrunken werden! Wenn es für dich so stimmt, mir ist das recht. Rotwein muss fruchtig und vollmundig sein! Go ahead! Mosel, Restsüss ist für Omis! Aber sicher doch, mehr für mich. Alle Bordeaux-Weine, die älter sind als 2000 sind tot! Total mit einverstanden, gib her, ich entsorge dir das gerne.
Ich bin da also, obwohl ich nicht alles nachvollziehen kann, total entspannt. Ich nippe dabei an meinem Champagner und denke über die Zukunft nach. Wie geht es weiter? Kann es so weiter gehen? Kann es nicht. Daher habe ich mir letztes Jahr für das neue Jahr und alle darauffolgenden Jahre, Neues vorgenommen. Weniger ist mehr, wobei ich den Umkehrschluss «Nichts ist alles» einfach mal aussen vorlasse. Für mich gilt daher: Weniger, dafür besser. Ob ich das in der Kolumne schaffe, wage ich zu bezweifeln, dafür sollte es im Glas entsprechend Auswirkungen haben. Mal sehen ob ich das finanziell gestemmt bekomme. Wenn nicht, habe ich zum Glück ja noch Freunde mit gut bestücktem Weinkeller. Aber irgendwie wird es wohl schon klappen. An dieser Stelle bedanke ich mich schon im Voraus.
So, und nun zur Glaskugel. Ich prophezeie für 2020 Folgendes: Bio-Weine werden weiter an Popularität gewinnen, der Champagnerkonsum wird auch in diesem Jahr keine Ausbrüche nach oben machen, selbsternannte Hohepriester nippen weiter affektiert am Glas, Wein wird generell teurer und ich werde 15kg abnehmen.
Prost!
NB: Die Kolumne gibt die Meinung des Autors Philipp Uehlinger wieder und muss sich nicht mit der Meinung der vvWine Redaktion zu einem bestimmten Thema decken.
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