Gereifte Bordeaux und zwei tragisch schwache 1er Grand Cru Classé
Gestern Abend luden Silvia und Ruedi Hintermann zu einer Verkostung von gereiften Bordeaux-Weinen. Die Verkostung fand im kleinen Rahmen von 10 Personen statt und wurde von Ruedi souverän geführt.
Zum Einstieg gab es den Champagne Deutz Brut Classique sowie dem Pinot blanc 2015 von Martin Donatsch. Dann folgten die Rotweine welche kurz vor der Verkostung durch Ruedi dekantiert wurden. Sämtliche Weine wurden in Dreier-Serien serviert und blind verkostet. Keiner der Teilnehmer – ausser natürlich Ruedi – wusste, welche Weine ausgeschenkt werden.
Mit Ausnahme eines einzigen Weines hat sich die kurze Dekantiertzeit bewährt. Lediglich Ch. Lynch-Bags 1981 hätte, das hat die Nachverkostung gezeigt, von etwas mehr Luft profitiert. Die beiden 1er Cru Weine – Ch. Margaux 1987 aus der Magnum und auch der 1986er Ch. Lafite Rotschild enttäuschten sehr; beide unausgewogen mit ruppigem Gerbstoff und weit unter ihrer Klasse.
Gereifte Bordeaux-Weine und zwei 1ers die enttäuschen – Foto (c) David Avvanzino |
Nachfolgend die vvWine-Notizen, welche wie immer Momentaufnahmen sind.
1994, Ch. Cos d’Estournel, St. Estephe: Mittlers Rubinrot, leicht aufgehellter Rand. In der Nase offen, sehr schöner Duft, Anflüge von Eukalyptus und Zedernholz, ein Hauch grüne Noten, etwas staubig aber nicht unschön, gute Komplexität. Am Gaumen weich und zugänglich, feine Frucht, rote Johannisbeere, auch etwas Lakritze, weitgehend abgeschmolzene Tannine, stimmige Säure. Am mittleren Gaumen dominieren dann die Lakritze-Aromen, gute Komplexität und sehr schön gereift. Gefällt mir durch seine Leichtigkeit und Ausgewogenheit. Jetzt bis 2024, 17.5 vvPunkte, (88/100)
Als kleine Nebenbemerkung erlaube ich mir auf einen Artikel von www.vinifera-mundi.ch zu verweisen. Wir verkosteten vor kurzem Cos d’Estournel (1986 bis 2007) ebenfalls in einer Blindprobe und dabei bewertete ich den 1994er Cos exakt gleich wie gestern Abend im Bordeaux-Tasting; sowohl was die Punktzahl als auch das Trinkfenster angeht.
1978, Ch. Montrose, St. Estephe: Helles Rubinrot, aufgehellter Rand, deutliche Reifenoten. Die Nase wirkt reif, leicht medizinal, da ist ein Hauch Maggikraut, feuchtes holz, Waldboden, Moos, gute Komplexität. Am Gaumen recht straff, etwas trocknend, dann deutlich Säure, rotfruchtige Aromen, das ist etwas gar dürr, kein grosses Jahr vermutlich, sehr trockenes Tannin, zu wenig Frucht. Der Wein hat einen sehr leichten Körper, zu wenig Fleisch am Knochen und dafür zu viel Gerbstoff. Trocknet aus. Im Abgang kurz und etwas dürr. Austrinken. 16.5 vvPunkte, (83/100)
1987, Ch. Margaux, Margaux: Mittelkräftiges Rubin, leicht aufgehellter Rand. Die Nase zeigt viel Tabak und Rauch, wirkt leicht süsslich, verspielt, eher dunkelfruchtig, feinwürzig aber nicht ausserordentlich komplex. Am Gaumen saftig im Auftakt, einiges an roter Frucht, dann deutlich Gerbstoff, sehr viel Säure, wirkt etwas gar burschikos und rustikal, hier fehlt es leider an Ausgewogenheit, das Tannin ist zu ruppig, die Frucht ist zu schwach für das ganze Gerbstoff-Säure-Gerüst. Im Abgang kurz und auch hier unausgewogen. Sehr enttäuschend. Austrinken. 16.5 vvPunkte, (83/100)
1. Flight: (c) www.vvWine.ch |
1993, Ch. La Louvière, Péssac-Léognan: mittleres Rubinrot, noch jugendlicher Glanz. In der Nase tief, rauchig, nobel, dunkelfruchtig, mit schöner Würze, etwas Tabak, sehr verspielt, mit Luft auch florale Noten, wunderbar komplex. Am Gaumen straff beginnend, da sind dunkle und rote Beeren, einiges an Fleisch am Knochen, kräftig aber nicht plump. Die Gerbstoffe sind noch präsent aber reif und feinmaschig, sehr gut dosierte Säure. Ein ausgewogener Wein von sehr guter Qualität und mit einem angenehm langen Abgang. Hat noch Reserven. Jetzt bis 2028. 18 vvPunkte, (91/100)
1993, Ch. Sociando-Mallet, Haut-Médoc. mittleres Bordeauxrot, noch jugendlicher Glanz. Die Nase ist floral, feinduftig, da sind Veilchen, getrocknete Rosen, eine feine Würzigkeit, rotfruchtig mit einem Hauch Vanille, sehr komplex. Am Gaumen straff beginnend, sehr saftig, wieder rotfruchtige Aromen, dann auch etwas Tomate, wirkt etwas krautig, dann folgen Aromen von geraspeltem Süssholz. Das Ganze getragen von feinen Gerbstoffen und einer perfekt dosierten Säure. Das gefällt mir sehr gut, der Wein ist ausgewogen und sehr komplex, zieht sich im Abgang lang und frisch hin, ehrlich, knackig, stimmig! Jetzt bis 2030, 18.5 vvPunkte, (92/100)
2000, Ch. Sociando-Mallet, Haut-Médoc: kräftiges Bordeauxrot, noch sehr jugendlich und dicht. Dunkelfruchtige Nase, würzig, einiges an grüner Paprika, Tabak, Leder, auch florale Düfte, Rauch, wunderbar komplex, verspielt, tief und nobel. Am Gaumen sehr straff und doch mit viel Fülle, da ist eine grossartige Frucht, das ist präzis, dicht und ohne jegliche Plumpheit, alles an seinem Platz. Viel reifer Gerbstoff, noch deutlich Reserven. Ein komplexer Wein mit viel Struktur, einer grossen Ausgewogenheit und einem sehr langen Abgang. Das ist voll auf meiner Linie und wird hervorragend reifen. Jetzt bis 2035, 19 vvPunkte, (94/100)
2. Flight: (c) www.vvWine.ch |
1979, Ch. La Lagune, Haut-Médoc: helles Rubin, wässeriger Rand. Die Nase wirkt sehr reif, mit deutlich Tabak, etwas Zedernholz, auch eine süssliche Note schwingt mit, Kaffee, Thymian, sehr verspielt und angenehm komplex. Am Gaumen frisch, rotfruchtig, wieder Tabak und Zedernholz, die Gerbstoffe sind noch leicht präsent, gut eingebunden, deutlich Säure, doch auch eine gute Frucht. Komplex ohne zu übefordern und im Abgang mit solider Länge. Ein ehrwürdig gereifter Bordeaux. Jetzt bis 2022. 17.5 vvPunkte, (89/100)
1981, Ch. Lynch Bages, Pauillac: helles Rubin, noch schöner Glanz. Duftige, anfangs fast etwas künstlich, leicht dropsig anmutende Nase, dazu Kaffee, süssliche Anflüge, einnehmend, noch verhalten, leicht laktisch. Am Gaumen sehr weich, zugänglich, fast etwas mollig wirkend, hier fehlt mir aktuell die Finesse, da ist zwar eine schöne, reife Frucht, da sind feine, gut eingebundene Gerbstoffe, doch irgendwie fehlt es etwas an Struktur. Im Abgang dann aber mit guter Länge. Jetzt bis 2021, 18 vvPunkte, (90/100). Dieser Wein hat als einziger von viel Luft profitiert und in der Nachverkostung vor allem in der Nase deutlich zulegen können.
Als Ersatz für eine leider korkende Flasche Ch. Pape Clément 1982 holte Ruedi einen anderen 1982er aus dem Keller…
1982, Ch. Cadet Piola, St. Emilion: helles Rubin, aufgehellter Rand, Reiftöne. Die Nase tief, nobel, rauchig, floral, das ist einladend, feinduftig, feminin mit einer sehr guten komplexität. Am Gaumen frisch, sehr saftig, sensationelle Frucht, äusserst präzis und ausgewogen, mit feinsten, weitgehend abgeschmolzenen Gerbstoffen und einer sehr gut eingebundenen Säure. Da ist deutlich Struktur im Spiel und eine grosse Ausgewogenheit. Ein sehr balancierter Wein mit langem nachhall. Wow, das macht Spass. Ein sehr schön gereifter Wein. Jetzt bis 2025. 18.5 vvPunkte, (92/100)
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1997, Ch. Léoville Barton, St. Julien: mittleres Rubin, etwas wässeriger Rand. In der Nase sehr fein, angenehm tief und rauchig, nobel duftend nach dunklen Früchten und Gewürzen, sehr schöne Komplexität. Am gaumen reif, weich und zugänglich, da ist eine schöne Frucht, unglaublich saftig und doch angenehm vollmundig, dazu ein Hauch Leder. Die Gerbstoffe abgeschmolzen, die Säure stimmig. Der Wein wirkt reif und doch frisch und zeigt im Abgang eine feine Süssholznote. Schön gereift, sehr gute Ausgewogenheit. Das macht Spass und muss nicht mehr weiter reifen. Dürfte dieses Niveau noch ein paar Jahre halten. Jetzt bis 2022, 18.0 vvPunkte, (91/100)
1999, Ch. Léoville Barton, St. Julien: mittleres Rubin, noch schöner Glanz. Die nase feinduftig, floral, nobel, mit dunklen Beeren, Gewürzen, Tabak und etwas Torf. Sehr schöne Komplexität. Am Gaumen wunderbar weich und sehr fein im Auftakt. Da ist eine tolle Frucht, der Wein wirkt frisch und saftig, ist unglaublich schön ausgewogen, hat doch Struktur, mit feiner Gerbstoff-Textur. Elegant und mit einem Hauch Lakritze im angenehm langen Abgang. Wunderbar stimmig, ein sehr schöner Wein. Jetzt bis 2026, 18.5 vvPunkte, (93/100)
1990, Ch. Léoville Barton, St. Julien: mittleres Rubinrot, leicht aufgehellter Rand. Die Nase ist tief, nobel, frisch, rauchig, mit Tabak, Zedern, Gewürzen, wow, das ist grosse Klasse, floral, verspielt, sich ständig verändernd, ein Schnüffelwein mit wunderbarer Komplexität. Am Gaumen straff, anfangs fast karg doch dann zeigt sich eine herrliche rote Frucht, da sind würzige Komponenten, da ist frisch geraspeltes Süssholz, extrem dicht aber nicht fett, sondern präzis und elegant. Dieser Wein ist grossartiges Bordeaux-Kino, ungemein frisch und ausgewogen. Im Abgang wunderbar langanhaltend. Ein grosser Wein der jetzt auf dem Punkt gereift ist und dieses Niveau sicherlich noch 10 Jahre halten kann. Jetzt bis 2028, 19.5 vvPunkte, (97/100)
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1986, Ch. Lafite Rotschild, Pauillac: mittleres Rubin, aufgehellter Rand. In der Nase Zedernholz, leicht süssliche Noten, frisch, rauchig, aber auch mit eicht grasigen Aromen, angenehm komplex, aber nicht gross. Am gaumen dann sehr straff beginnend, einerseits saftig, frisch mit einem Hauch roter und dunkler Beerenfrucht, dann aber einfach viel zu viel Gerbstoff. Das Tannin ist ruppig und deckt die wenig vorhandene Frucht völlig zu. Es fehlt an Ausgewogenheit, da ist keinerlei Finesse im Spiel und ich habe hier wenig Hoffnung für die Zukunft. Dürfte austrocknen. Austrinken, 17 vvPunkte, (87/100)
1986, Ch. Léoville Las Cases, St. Julien: dichtes Bordeauxrot, leicht wässeriger Rand. In der Nase ein Traum, da sind dunkle Beeren, da ist eine feine Tabakwürze, dazu Kaffee, Zedernholz, was für ein wunderbarer Duft, hier könnte ich stundenlang riechen. Am Gaumen weich, fast harmlos beginnend. Dann zeigt der Wein seine Zähne, hier ist einiges an Struktur im Spiel, die Gerbstoffe von sehr guter Qualität, die dunkle Frucht zieht sich sehr stimmig weiter. Hier ist alles an seinem Platz, grosse Ausgewogenheit und eine feine Würze im Abgang. Grossartiger Wein. Jetzt bis 2028. 19.0 vvPunkte, (95/100)
1987, Gaja, Darmagi (Piemont Pirat). Dichtes Bordeauxrot, schöner Glanz. Die Nase zeigt Eukalyptus, dunkle Johannisbeere, auch eine leichte Lacknote, komplex aber auch etwas irritierend. Am gaumen straff, frisch und sehr saftig, da ist eine wunderbare Frucht, feinstes Tannin, dann aber auch einiges an Alkohol. Definitiv ein Wein mit sensationeller Struktur, saftig, frisch, mit viel Säure. Im Abgang mit sehr guter Länge, beeindruckend. Ein sehr guter aber nicht grosser Wein. Trotz des Jahrgangs sind hier noch deutlich Reserven vorhanden. Jetzt bis 2030, 18.5 vvPunkte, (92/100)
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Zum Abschluss servierten uns Silvia und Ruedi eine feine Platte mit Fleisch, Käse und dazu einen Tropfen Ch. d’Yquem 1986. Yquem ist immer wieder ein wunderbares Wein-Erlebnis und auch der 1986er enttäuschte unsere Erwartungen nicht.
1986, Yquem, Sauternes. Bernsteinfarben, weisslicher Rand. Die Nase offen, feinduftig, floral, mit Honig, Aprikosen, Anflügen von Rauch, gerösteter Haselnuss, Mandeln, wunderbar tief und mit sehr guter Komplexität. Am Gaumen vollmundig, sehr süss beginnend, hier zeigen sich gedörrte Aprikosen, erneut Mandeln, der Wein ist süss aber nicht klebrig sondern angenehm frisch. Es gesellen sich Aromen von lavendel und Bitterorangen dazu, unglaublich klar, rein und sanft mit einer guten wenn auch nicht ausserordentlich ausgeprägten Säure. Im Abgang langanhaltend, will fast nicht enden. Sehr schöner Sauternes. Jetzt bis 2050+ 19 vvPunkte, (94/100)
Ch. d’Yquem 1986 – Foto (c) David Avvanzino |
Es bleibt mir ein ganz grosses Dankeschön an Ruedi und Silvia auszusprechen. Dies war ein wundervoller Abend mit sehr angenehmen Weinfreunden und anregenden Gesprächen über die schönste Nebensache der Welt. In vino veritas.
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